Keltisch, kantig
«Der Wind wütete, hoch schwollen die Wogen, schwer wog die Luft von Dunkelheit. Der Ozean verfinsterte sich und der Regen peitschte in Stößen herab.» So beschrieb der Mediävist Joseph Bédier in seiner 1900 erschienenen Nacherzählung des Tristan-Stoffs das Meer. Derart wild geht es an der Cardiff Bay am Abend der Premiere von Frank Martins «Le Vin herbé» zwar nicht zu, vielmehr herrscht dieses besondere Insellicht, das alle Konturen schärft. Trotzdem, es ist eine Zunge der keltischen See, die leise am Kai hinter dem Millenium Center leckt.
Leicht kann man sich auf dem bleigrauen Wasser die irische Prinzessin Isolde vorstellen, unterwegs nach Cornwall, um König Markes Frau zu werden. Wäre da nicht der Trank, der vermaledeite! Während er bei Richard Wagner nur ins Licht kehrt, was ohnehin schon gärt – um mit Thomas Mann zu sprechen, ein Glas Wasser tät’s auch –, facht bei Bédier/Martin tatsächlich erst Magie die fatale Liebe an.
Gesungen wird in dieser Neuproduktion der Welsh National Opera auf Englisch, Übertitel gibt es auch walisische. Die sehrend-chromatischen Klänge des Schweizer Komponisten klingen so kantiger, weniger ätherisch als mit den leuchtenden französischen Vokalen. ...
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Opernwelt April 2017
Rubrik: Panorama, Seite 39
von Wiebke Roloff
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Drei Jahre nur währte die Hoch-Zeit, bald müssen die Salzburger Servus sagen, Mirga Gražinytė-Tyla zieht es zu neuen Ufern. Ähnliches ist den Augsburgern einst mit Dirk Kaftan passiert. Und am Tiroler Landestheater richtet man sich gerade auf die Zeit nach Francesco Angelico ein: Wer musikalisch zu sehr strahlt, wird vom Markt schnell weiterkatapultiert. Der...
Leopold Stokowski, in Deutschland verkannt, andernorts aber hochgradig verehrt – Carlos Kleiber etwa nannte ihn «Stokey, das Genie» – gebot über ein riesiges Repertoire. Nur in der Oper machte sich der Dirigent rar. Immerhin, in den USA präsentierte er erstmals Bergs «Wozzeck» (1931) und Modest Mussorgskys Original-Version des «Boris» (1929). Am bekanntesten und –...