Im Spiegelkabinett

Mariss Jansons dirigiert Tschaikowsky in Amsterdam aus der Perspektive Strawinskys, Stefan Herheim deutet «Eugen Onegin» als Spiel der Bewusstseinsströme

Eugen Onegin» als Tragödie verfehlten Lebens­glücks: So sieht Stefan Herheim Tschaikowskys Szenenfolge, mit der er an der Nederlandse Opera im Rahmen des Holland Festivals debütierte. Das Concertgebouworkest mit seinen überirdisch schönen Hörnern saß im Graben, Mariss Jansons dirigierte. Eine Luxusbesetzung. Manches Bild schärfte die Ohren wie der vorher in dieser Krassheit nie bemerkte Trauermarsch in der Duellszene oder der Pas de deux von Weißem und Schwarzem Schwan im Mittelteil der Polonaise. Anderes nahm die Augen so sehr in Anspruch, dass keine Zeit mehr zum Hören blieb.

Vor allem die Hauptfragen der theatralisch aus dem Vollen schöpfenden Inszenierung schienen nicht zu Ende gedacht: Wa­rum wird das Lebensglück verfehlt? Was und wer ist schuld daran?

Und das, obwohl Stefan Herheim die Schlussszene in einem selbstreflexiven Kunstgriff zur Rahmenhandlung machte. Philipp Fürhofer hatte ein fotorealistisches Theaterfoyer auf die Bühne gewuchtet: in der Mitte ein gläsernes Wintergarten-Foyer, das sich für die Rückblenden öffnete. Anlässlich einer vom Oligarchen Gremin gesponserten Vorstellung begegnet Onegin seiner großen Liebe wieder. Das löst einen Strom von Tagträumen und ...

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Opernwelt August 2011
Rubrik: Im Focus, Seite 10
von Boris Kehrmann

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