Herber Reiz, feine Balance
Ein Kastrat, dem bisher noch nicht gehuldigt wurde?! Antonio Maria Bernacchi. In ihm fand der junge Farinelli 1727 in Bologna bei einer Art Wettsingen seinen Meister, wie Franz Haböck in seiner Studie «Die Gesangskunst der Kastraten» berichtet. Das Ergebnis: Farinelli, obgleich bereits erfolgsverwöhnt, ging bei dem älteren Sänger, dem Begründer der späteren Bologneser Gesangsschule, noch einmal in die Schule.
Dieses Detail (und viele andere) finden sich in dem kenntnisreichen Text von Silke Leopold zu einer Sammlung von Bernacchi-Arien, die der schweizerisch-amerikanische Countertenor Terry Wey unter den Titel der Arie «Pace e Guerra» aus Pietro Torris «Lucio Vero» gestellt hat.
Sie beginnt mit einer passablen, zehn Sekunden langen messa di voce auf dem Wort «pace», bevor sich der Titelheld den Göttern als koloraturen-schleudernder Kämpfer entgegenstellt. Dadurch aber, dass er immer wieder das stimmlose H als Gleitlaut einsetzt, geht die Bindung verloren, wird die Geste wütender Erregung zum aufgeregten Hecheln. Ebenso misslich ist die klangliche Unausgewogenheit bei dramatischen Akzenten. Auch in Arsaces Sturm-Arie «Furibondo spira il vento» aus Händels «Partenope» oder in ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt April 2017
Rubrik: Hören, Sehen, Lesen, Seite 22
von Jürgen Kesting
Geliebt wird man nur, wenn man Schwäche zeigen darf. Nicolai Gedda zeigte Schwäche bei einem Liederabend in der Hamburger Oper, den er im Herbst seiner Karriere gab. Im Herbst? Es war am 19. Januar 1998, er war 72 Jahre alt. Am Ende des ersten Teils mit Liedern von Richard Strauss hatte er gegen einen «Frosch im Hals» kämpfen müssen. Nach der Pause, nun mit...
Endlich ist Mieczysław Weinberg am Bolschoi Theater angekommen. Mit seiner Dostojewski-Oper «Der Idiot». Mehr als 20 Jahre nach seinem Tod und fast 50 Jahre nach einem ersten Anlauf. Damals, im verhängnisvollen Jahr 1968, als sowjetische Panzer den Prager Frühling beendeten, stand «Die Passagierin» auf dem Premierenplan, man probte bereits. Doch dann wurde die...
In unsicheren Zeiten wächst das Bedürfnis nach Halt. Nach Dingen, die man schon kennt oder zu kennen glaubt. Die neue Lust auf Wiedervorlage alter Theaterproduktionen ist nicht frei von dieser Sehnsucht. Zumal wenn es sich um Kreationen handelt, die als «ikonische» Ereignisse durch die jüngere Rezeptionsgeschichte geistern. Philip Glass und Robert Wilson haben mit...