Diamant, ungeschliffen

Jürgen Otten über den Leipziger Operneinstand von Riccardo Chailly mit Verdis «Ballo in maschera»

Schaut man nicht real hinunter in den Schlund, der an viel zu vielen Orten der Stadt gähnt, sondern imaginär hinauf zu den Musen im Olymp, dann könnte man meinen, es sei neuer Glanz eingekehrt in die Hütte. Leipzig, von nicht wenigen Kulturschaffenden nach wie vor als provinzielles Fürstentum der Kunst belächelt und seit Monaten durch die megalomane Baustelle City­tunnel in seiner Schönheit arg angekratzt, hat, als Stätte der Kultur, erkleckliche Anstrengungen unternommen, um sich in der Spitzengruppe der ersten Liga zu etablieren. Jedenfalls als Musikmetropole.

Historisch gerechtfertigt ist dieser Wille allemal, schließlich war Leipzig nicht nur die Wahlheimat von Gottvater Bach, hier wirkten auch Mendelssohn, Wiederentdecker von Bachs göttlicher Musik, Schumann und einige andere. Mit einem Wort: Es ist jede Menge Tradition im Spiel.
Wenn Leipzig sich nun einen Dirigenten vom Schlag  Riccardo Chaillys leistet, geschieht dies nicht, wie manche Kritiker und nicht wenige Bürger der ­finanziell arg gebeutelten Stadt glauben, als ein Akt des Größenwahns, es geschieht als glaubwürdiger Akt der Behauptung einer geschichtlichen Kontinuität, die neben dem Gewandhaus-­Dirigenten Mendelssohn ...

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Opernwelt Januar 2006
Rubrik: Im Focus, Seite 20
von Jürgen Otten

Vergriffen
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