Der Untergeher
Der Mann ist ein Mirakel. Wo immer er auftaucht, liegen ihm die Herzen der Damen augenblicklich zu Füßen. Auch hier, am Rande der Straße, von der Don Giovanni, begleitet von Leporello, vermutlich kurz zuvor abgekommen ist mit seinem schicken Sportwagen, der nun, mächtig zerbeult, an der Grenze eines gemähten Kornfelds neben dem einzigen Baum steht, der weit und breit zu sehen ist (unfreiwillig muss man an Albert Camus’ tödlichen Autounfall denken).
Kaum hat sich in der (von Joseph Trafton ein wenig zu undämonisch angelegten) Ouvertüre des Dramma giocoso, der Moll-Nebel gelichtet und strahlt lichtes D-Dur aus dem Graben nach oben, schlendern sie nach und nach herein – erst Donna Anna, Donna Elvira und Zerlina, dann ein knappes Dutzend weiterer Frauen. Und so kokett, ja beinahe frivol, wie sie sich gerieren, haben alle nur den einen Wunsch: zu verführen. Oder besser: verführt zu werden.
Da gibt es nur ein klitzekleines Problem. Der Verführer ist müde, matt, beinahe gänzlich erschlafft (was zum Glück nicht für den kultivierten Bariton von Insu Hwang gilt, der sich problemlos über den ohnehin schlanken, transparenten Klang des Philharmonischen Orchesters Hagen hinwegzusetzen vermag). ...
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Opernwelt Juli 2023
Rubrik: Im Focus, Seite 24
von Jürgen Otten
Der Händel Schorsch, der schrieb ein Stück voll Wirren.
Abstrakt gesagt geht’s hier um einen Thron,
Um Liebe auch, um Kopf und Herz von Irren,
Um Hass und Macht und Tod, Pompeos Sohn.
King Cäsar reist zum Orient und trifft dort
Ne alte Heiße – und merkt bald: «Ich bin
Verliebt in sie, Cleopatra, mein Kraftort,
Du Eselsmilchbad-Influencerin!»
Die Cleo will sehr gern...
Siebzig Minuten lang wird auf der Bühne geknüpft und geknotet. Meterlange Stoffbahnen fallen aus dem Schnürboden herab, von rasselnden Ketten gehalten. Die Darsteller weben und wickeln sie zu einem flammend roten Netzwerk, das die gesamte Bühne in schrägen, asymmetrischen Linien überzieht. Bei der szenischen Uraufführung der Vokalsymphonie «The Prison» von Ethel...
Es ist einer dieser milden Frühlingstage, früher Abend. Im Dreieck zwischen der Avenida Canarias, dem Calvo Sotelo und der Calle Lentini am Rande des Barrio Histórico Triana fließt der Verkehr träge und entspannt dahin. Dominiert wird das Bild von den gelben Bussen, die sich an der Küstenstraße aufreihen und die letzten Strandgäste einsammeln. Vom Atlantik weht...