Bonjour Tristesse
Stille Nacht. Aber keine heilige. Eher eine traurige. Schon jene fünf Akkorde, mit denen Schuberts Lied «Der Doppelgänger» auf Verse von Heinrich Heine anhebt, verraten viel über die Stimmungslage des einsamen Wanderers, wie wir ihn (und sein meist leises Flehen) schon aus der «Winterreise» kennen. Die Liebste ist unerreichbar fern, das Leben ein einziger vergeblicher Kampf.
Und so schleppt sich eben nicht nur der nächtliche Spaziergänger, sondern auch die Musik schweren Schrittes dahin, von h-moll (im Original) über einen Sextakkord auf Fis-Dur, die Tonika-Parallele D-Dur und den leeren dominantischen Quintklang (wie im «Leiermann») zurück in die Finsternis der Haupttonart.
Daniel Heide, derzeit einer der vorzüglichsten Liedbegleiter, spielt das ganz und gar unpathetisch, wie ein Kondukt. Und auch Andreas Bauer Kanabas findet für die (nächtlichen) Qualen des bedauernswerten bleichen Gesellen den richtigen Ton: traurig-abgründig, aber ohne jede Larmoyanz, eher nüchtern bilanzierend, doch nur bis zu jenen Worten, die dem Gedicht (und auch dem Lied) seinen Namen liehen: «Da steht auch ein Mensch und starrt in die Höhe, / mir graust es, wenn ich sein Antlitz sehe – der Mond zeigt mir ...
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Opernwelt Juli 2023
Rubrik: CDs, DVDs und Bücher, Seite 35
von Jürgen Otten
Noch vor ein paar Jahren galt die Musik des 1880 in Moskau geborenen und 1951 in London gestorbenen Komponisten und Pianisten Nikolai Medtner als «Randrepertoire», als «Spezialsache für Spezialisten». Der vielfach ausgezeichnete Pianist Severin von Eckardstein war einer der Ersten, die sich selbstbewusst für Medtner aussprachen. 2007 spielte er erstmals prominent...
Ein Ast wird abgesägt, fällt raschelnd vor dem Vorhang nieder, noch bevor die Pauken und Fagotte der Dortmunder Philharmoniker in Mimes Höhle entführen. So war es bereits im vergangenen Jahr bei der «Walküre» an der Oper Dortmund, so könnte es werden im kommenden Jahr beim «Rheingold». Die Weltesche ist immer schon angetastet, das Verhältnis des Menschen zur Natur...
Frische, der Duft der Rose, die Stimme der Nachtigall, der Flügelschlag des Schmetterlings – das seien die Qualitäten von Jules Massenets Musik, schreibt Camille Saint-Saëns nicht ohne subtile Ranküne über die im Dezember 1881 im Brüsseler Théâtre de la Monnaie uraufgeführte «Hérodiade» seines Konkurrenten um die Gunst des Belle-Époque-Publikums. Der schmachtende,...