Bauchmensch

Das kann kein Zufall sein: Zum dritten Mal nach 2008 und 2014 ist Michael Volle zum «Sänger des Jahres» gekürt worden. Aber er bleibt auf dem Boden. Ein Porträt

Opernwelt - Logo

Ziemlich genau 30 Minuten ist der zweite Aufzug alt, da wird er zur Anfechtung, auch für manchen Wagner-Nerd. Der Überraschungsangriff des Vorspiels, die jubelnden «Hojotohos» Brünnhildes, der Ehezank im XXL-Format. Und dann verpuffen und versickern die Effekte, weil es für den Göttervater ans Eingemachte geht, weniger fürs Publikum, so ist das jedenfalls in vielen Fällen. «Als junger Liebe Lust mir verblich ...

» Ein weit ausgreifender Monolog, ein ausgedehntes «Was bisher geschah», ein Rückblick, von dem doch jede Kleinigkeit dem erfahrenen «Ring»-Besucher bekannt sein dürfte. Es ist für viele im Publikum der Moment des innerlichen Ausstiegs: Ist die Häppchen-Bestellung für die zweite Pause vollständig? Und ob der Herd daheim wirklich ausgeschaltet wurde?

In der Berliner Staatsoper, im Herbst 2022, ist das anders. Dort steht Michael Volle – und vor ihm am Pult Christian Thielemann, der die Staatskapelle in diesem Augenblick bis zur Unhörbarkeit dimmt. Als die ersten Worte des Monologs geformt werden, da stellen 1200 Menschen im Parkett und auf den Rängen das Atmen ein. Was jetzt kommt, ist ein Fall für die Annalen. Man verfolgt einen Bariton beim singenden Denken. Und erlebt ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Jahrbuch 2023
Rubrik: Sänger des Jahres, Seite 18
von Markus Thiel

Weitere Beiträge
Dein ist mein ganzes Herz

Eigentlich wäre die Sache ganz einfach: Ein Jüngling liebt ein Mädchen, und die liebt keinen anderen. Das Glück liegt auf der Straße, die schon viele zuvor entlanggingen, der Jüngling muss sich nur bücken, es aufheben und in die Tasche stecken. Was aber in der Realität häufig genug funktioniert (allerdings mit höchst unterschiedlichen Endergebnissen), findet sich...

Wege zur Kunst

Ein ahnungsloser Reisender wäre vermutlich nachhaltig irritiert, käme er an einem milden Herbstnachmittag am Frankfurter Hauptbahnhof an und würde seinen Weg zu Fuß durch das Bahnhofsviertel in Richtung Willy-Brandt-Platz antreten. Der Pfad zur Kunst, er ist steinig und für zarte Gemüter nicht eben angenehm. Seit einigen Jahren wächst die Armut und damit auch die...

Zwischen Apokalypse und Grand Guignol

Die Oper ist als Geschichte durchaus lebendige Musik, als Genre heute aber völlig unzeitgemäß. Es ist Wahnsinn, nach Wozzeck eine Oper kom -ponieren zu wollen.» Diese Äußerung Mauricio Kagels aus dem Jahr 1971 formuliert bündig, welche Rolle das Musiktheater für die junge, um Pierre Boulez, Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen gescharte Komponistengeneration der...