Alles Leid der Welt

Christof Loy deutet in seiner Amsterdamer «Chowanschtschina» unsere Gegenwart aus der Vergangenheit – so dezent wie dringlich. Und Mussorgskys Partitur klingt unter Ingo Metzmacher wie erlöst

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Ein Raunen geht durchs Publikum, als sich der Vorhang hebt. In historischen Gewändern aus guter alter Zarenzeit stehen da Mütterchen und Väterchen, Reiche und Arme, ein Mädchen mit rotem Kopftuch; Angst und Schrecken sind ihnen ins Gesicht geschrieben. Dahinter in strahlendem Licht die riesige Replik eines Ölgemäldes von Wassili Surikow: der Rote Platz im Augenblick vor der Massenhinrichtung der Moskauer Strelizen-Armee auf Befehl Zar Peters des Großen.

Ausstattungstheater vom Feinsten also? Wenn da nicht rechts und links des Bildes die nüchtern-weißen Wände wären.

Noch bevor die ersten Soldaten zu singen beginnen, streifen die Sänger ihre historischen Kostüme ab und zeigen sich als Menschen von heute, in Jeans, Büroanzügen und Kostümchen; nur ein Holzkarren und ein totes Pferd bleiben zurück. Da hat sich Johannes Leiackers atemraubende Bühne längst ins Bildgedächtnis eingegraben: Von nun an ahnt man die Vergangenheit auch ohne entsprechende Ausstattung.

Zumal das Nederlands Philharmonisch Orkest unter Ingo Metzmacher einen historischen Klangraum assoziiert, einen, in dem der Sonnenaufgang noch als wundersame Verwandlung erzählt werden konnte. Fast impressionistisch leuchtet ...

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Opernwelt April 2016
Rubrik: Im Focus, Seite 8
von Christoph Schmitz

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