Vollendet das ewige Werk
Die Trachtenjanker und Gamsbärte, die Dirndl und kunstvoll gezwirbelten Flechtfrisuren im Publikum gibt es nicht mehr. 1998 konnte man sie noch bewundern, als dieses Event wie ein Ufo in dem Tiroler Dorf unweit des Inns landete und dabei das Passionsspielhaus in Beschlag nahm. Doch Wagners «Rheingold» als Gründungsstück der Tiroler Festspiele (damals mit Albert Dohmen als Wotan und Nadja Michael als Fricka) wurde nicht Kulturschock, sondern Kult.
Und als Gustav Kuhn seinen «Ring» gerundet hatte, war der aus Erl nicht mehr wegzudenken – bis hin zur späteren 24-Stunden-Aktion, bei der zwischendurch erschöpfte Solo-Bläser ausgetauscht wurden. Dass die Regie handgestrickt bis hilflos war, wurde immer durch Kuhns profunde Kapellmeisterkunst aufgewogen: Man drückte im Zweifelsfall beide Augen zu und sperrte die Ohren auf. Bekanntlich ist Kuhn Geschichte, weil ihm Übergriffiges bis hin zu #MeToo vorgeworfen wurde. Trotzdem ist er noch präsent in Erl. Bei den Proben zum aktuellen «Rheingold» ward er gesichtet; der Ex-Prinzipal habe ja noch, so wird kolportiert, seinen Steuerwohnsitz am Ort der Taten.
Die aktuelle «Rheingold»-Premiere ist also aus mehreren Gründen historisch. Weil sie ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt September/Oktober 2021
Rubrik: Festspiele Erl, Seite 36
von Markus Thiel
«Di Lete all’altra sponda, ombra compagna anch’io voglio venir con te», sehnt sich Andromeda am Leichnam des Perseus. Es ist die unauslöschliche Hoffnung eines Menschen, dem das Liebste genommen wurde: dass der Abschied nicht endgültig sei, dass es vielmehr gestattet werde, den Heimgegangenen als Schatten zum anderen Ufer der Lethe zu begleiten. Lisette Oropesa hat...
Ein Pochen, kurz, lang, kurz, lang, das sich über mehrere Takte hinzieht. Kein rhythmisches Gerüst ist das, zweite Violinen und Bratschen haben da etwas anderes zu sagen. Bedrohung und Ausweglosigkeit, Trauer und Zögern, ein leeres Um-sich-Kreisen, das Voranschreiten eines Trauermarsches, alles fällt hier zusammen. Vorausgesetzt, man dirigiert diese c-Moll-Stelle...
Die Premiere von Rossinis «Il turco in Italia» am 22. Februar 2020 war die letzte Vorstellung an der Scala, bevor das Theater zur Abwehr der Coronae-Pandemie geschlossen wurde. Rossini besingt ein idyllisches Bella Italia – «dich liebt der Himmel und die Erde!» Dagegen war am Tag der Premiere 60 Kilometer entfernt, in dem, was die Italiener habsburgisch «il...