Text und Sinn
Wo Musik ist, muss ein Dämon sein», bemerkte der New Yorker Geiger Herman Martonne einmal über Mahler. Er hatte dabei weniger den Komponisten als den Dirigenten im Sinn. Einen Dämon, der, nicht nur in Tempofragen, allein dem eigenen inneren Kompass vertraute. Einem Instinkt freilich, der, historisch informiert, auf die unerhörte Vergegenwärtigung des Vergangenen zielte. Der in und aus den Werken zündete, deren klingende Wahrheit er suchte. «Willkürakte» und «minutiöse Probenarbeit», Freiheit und Drill, sie gingen bei Mahler Hand in Hand.
Tempi passati?
Keineswegs, wie Peter Gülke in 26 profunden Betrachtungen zur dirigentischen Praxis zeigt. Denn die Frage, wie (heiliger Noten-)Text und (lebendiger Klang-)Sinn, Ewigkeit (der Meisterwerke) und Einmaligkeit (ihrer Realisierung im Hier und Jetzt) zueinanderfinden, stellt sich immer aufs Neue. Toscaninis Treueschwur «come è scritto» kann die «interpretatorische Fantasie» blockieren, die «chronometrisch tickende» Zeit der tönenden Bewegung den (nie exakt pulsierenden) Herzschlag nehmen. Bis in mikroskopische Details hinein spürt der Autor den paradoxen Widersprüchen nach, mit denen Kapellmeister wie Maestri seit je im Alltag ...
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Opernwelt März 2018
Rubrik: Hören, Sehen, Lesen, Seite 28
von Albrecht Thiemann
Alles auf einmal wollen. Alles ausprobieren. Warum nicht? Leben besteht daraus: schauen, was geht, mal vor, mal zurück. Erst recht auf der Opernbühne des Als-ob-Lebens. Im Speziellen: an der Oper Halle. Die Dramaturgin kündigt an, die «Aida» sei auch ein Experiment. Gefühle sollen in Wallungen geraten. Wohlige Vorfreude breitet sich aus, zumal hier, wo Florian Lutz...
Schwer zu sagen, wer sie ist. In Antwerpen ist Mélisande anfangs noch ein Mädchen. Aber je länger es sich in den Schnüren verstrickt, die sich zu magischen Dreiecken formen, am Ende gar zu einem Stern, desto mehr wandelt sie sich zur Spinnwebfrau: eine schimmernde Gestalt, durchscheinend fast im fleischfarbenen Kostümgespinst von Iris van Herpen, das sie mehr ent-...
Intellektuelles Lumpenproletariat, verloren in der Großstadtwüste. Gestrandete, die der unwahrscheinlichen Hoffnung nachhängen, dank ihrer Talente überleben zu können. Man verdingt sich mit Gelegenheitsjobs, wischt Spießbürgern eins aus, konsumiert illegale Drogen und nagt in schlecht geheizten Dachstuben am Hungertuch. Alles wie gehabt. Am harten Los des...