Seismograph der menschlichen Sinne
Es ist mir noch wie gestern, dass 1958 ein blond gelockter junger Mann unser Haus betrat und mich mit seinem Klavierspiel samt souveränem Vom-Blatt-Lesen verblüffte. Ich hatte mich nach einem Korrepetitor umgesehen, und mein Lehrer Hermann Weißenborn gab Ariberts stets aufmerksamer Mutter Irmgard Reimann den Rat, es doch einmal mit mir zu versuchen. Aber was ich hier hörte, war etwas ganz anderes als das bisher Gewohnte. Zunächst galt es, Mahlers «Lied von der Erde» einzustudieren, das erstmalig in der Alt-Partie von einem Mann gesungen werden sollte.
Dann den Mittenhofer, die zentrale Figur in der Oper «Elegie für junge Liebende» von Hans Werner Henze, die in Schwetzingen vor ihrer Premiere stand. Dank der unbeirrten, zielsicheren Arbeit mit Aribert wurde das Werk rasch verstanden und verarbeitet. Als der Komponist nicht lang vor der Premiere hinzu kam, um uns etwas nervös probeweise zu dirigieren, war zu merken, um wie viel überlegener als von seinem Schöpfer das Werk vom Pianisten verstanden und beherrscht worden war. Es wurde eine – man darf wohl sagen – fruchtbare Zusammenarbeit mit Aribert Reimann daraus. Die Arbeit konnte – für damalige Begriffe raffiniert – reduziert ...
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Es sind minus siebenundzwanzig Grad in Helsinki, der Schnee fällt schnell und schwer. Lange hält’s keiner draußen aus, schon gar nicht in Abendkleidung. Weil die Schneeberge empfindliches Schuhwerk ruinieren würden, hat die Nationaloper vorgesorgt: Schuhtaschen für jeden! An der Garderobe sitzen, hocken, stehen also rund zwölfhundert Menschen, um die Schuhe zu...
Der Vorwurf, dass man in eine Dichtung etwas ‹hineingelegt› habe, wäre ihr stärkstes Lob. Denn nur in jene Dramen, deren Boden knapp unter ihrem Deckel liegt, lässt sich beim besten Willen nichts hineinlegen», schrieb Karl Kraus. Auch auf Mozarts «Idomeneo, rè di Creta» und die beiden Inszenierungen des Werks in Wien und Graz ließe sich dieses Zitat anwenden. Willy...
