Sein und Schein

Albrecht Thiemann über den jüngsten Dreiklang der PariserOpernszene: «Giulio Cesare» mit Andreas Scholl, «Salome» mit Catherine Naglestad und «Les Troyens» mit Deborah Polaski

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In der Avenue Montaigne ist die Welt noch in Ordnung. Fünf-Sterne-Hotels, Nobelkarossen, Edel­boutiquen von Chanel bis Louis Vuitton – ein Boulevard des Luxus und der Moden. Die Tristesse der Banlieues ist weit weg, das süße Leben zum Greifen nahe. Bei Valentino, gleich neben dem Bühneneingang des Théâtre des Champs-Élysées, kostet die Abendrobe für die anspruchsvolle Dame knapp vierzehntausend Euro. Die Schau­fenster sind perfekt gestaltet, raffiniert ausgeleuchtet – Guckkästen eines am Goldenen Schnitt orientierten savoir vivre.

Selbst ein Laie in Sachen Haute Couture ahnt sogleich: Hier sind nicht Material und Arbeitsaufwand die Haupt­quelle der Wertschöpfung, sondern ein imaginärer Zauber, eine Aura ostentativer Exklusivität, welche aus Waren kostbare Kunstwerke macht. Ich glänze, also bin ich.
Der Geist des Ästhetizismus hat in Paris nicht nur hochmögende Schneider im Griff. Das Interesse am erlesenen Stil, an der erhabenen Form – für Modisten natürlich die geschäftliche raison d’être – ist auch in jenem (groß)bürgerlichen Milieu anzutreffen, das in Frankreich nach wie vor den Diskurs über Gesellschaft, Politik und Kultur dominiert. Es geht dabei nicht bloß um Fragen des guten ...

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Opernwelt Dezember 2006
Rubrik: Im Focus, Seite 18
von Albrecht Thiemann

Vergriffen
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Dass in der Opera seria am Ende noch alles im gleichsam industriell gefertigten «lieto fine» zum Guten gewendet werden muss, ja, das kennt man. Aber mit so einem marginalen barocken Tanzschnipsel, wie er Reinhard Keisers «Arsinoë» abschließt, rechnet dann doch keiner. Konvention erfüllt, Oper spielbar, scheint uns der Komponist zuzuraunen. «Was’n das für’n...

Horror vacui

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