Sein und Schein
In der Avenue Montaigne ist die Welt noch in Ordnung. Fünf-Sterne-Hotels, Nobelkarossen, Edelboutiquen von Chanel bis Louis Vuitton – ein Boulevard des Luxus und der Moden. Die Tristesse der Banlieues ist weit weg, das süße Leben zum Greifen nahe. Bei Valentino, gleich neben dem Bühneneingang des Théâtre des Champs-Élysées, kostet die Abendrobe für die anspruchsvolle Dame knapp vierzehntausend Euro. Die Schaufenster sind perfekt gestaltet, raffiniert ausgeleuchtet – Guckkästen eines am Goldenen Schnitt orientierten savoir vivre.
Selbst ein Laie in Sachen Haute Couture ahnt sogleich: Hier sind nicht Material und Arbeitsaufwand die Hauptquelle der Wertschöpfung, sondern ein imaginärer Zauber, eine Aura ostentativer Exklusivität, welche aus Waren kostbare Kunstwerke macht. Ich glänze, also bin ich.
Der Geist des Ästhetizismus hat in Paris nicht nur hochmögende Schneider im Griff. Das Interesse am erlesenen Stil, an der erhabenen Form – für Modisten natürlich die geschäftliche raison d’être – ist auch in jenem (groß)bürgerlichen Milieu anzutreffen, das in Frankreich nach wie vor den Diskurs über Gesellschaft, Politik und Kultur dominiert. Es geht dabei nicht bloß um Fragen des guten ...
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Dass in der Opera seria am Ende noch alles im gleichsam industriell gefertigten «lieto fine» zum Guten gewendet werden muss, ja, das kennt man. Aber mit so einem marginalen barocken Tanzschnipsel, wie er Reinhard Keisers «Arsinoë» abschließt, rechnet dann doch keiner. Konvention erfüllt, Oper spielbar, scheint uns der Komponist zuzuraunen. «Was’n das für’n...
Esultate! L’orgoglio musulmano sepolto è in mar, nostro del ciel è gloria! Das hätte man gegenwärtig auch benediktisch zugespitzt, sozusagen auf des Krummsäbels Schneide, inszenieren können. Doch Christine Mielitz lässt den «muselmanischen Stolz» szenisch unkommentiert, nutzt vielmehr Unwetter und Sturm pantomimisch zur (nur bei Shakespeare geschilderten)...
Detlev Glanerts neue Oper «Caligula» will nicht nur ins Innerste treffen – sie kommt auch daher. Zumindest war das der aufregende Plan des Komponisten: dass alle Klänge in Kopf und Körper eines verzweifelten, halb wahnsinnigen Menschen entstehen. Dass sie ihn innerlich balsamieren wie ein letztes Erinnern an Schönheit oder ihm unerträgliche Schmerzen bereiten –...