Schöne Welt, wo bist Du?

CD des Monats: Kartal Karagedik und Helmut Deutsch unternehmen eine spannende Reise durch Schuberts Götterwelt

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Grimmig sieht er aus, der Licht- und Feuerbringer, von Schatten umgeben, verdüstert irgendwie. Doch liest man die Verse, die der Geheimrat Goethe seinem «Prometheus» in die Seele streute, muss man sich nicht wundern.

Da fürchtet jemand um den Bestand der Erde, und weil er ein aufrichtiger Geist ist, gibt der an den Kaukasus geschmiedete Menschenfreund dem obersten Oligarchen und seiner olympischen Familie auch gleich noch kräftig eins aufs Haupt: «Ich kenne nichts Ärmeres / Unter der Sonn’ als euch, Götter! / Ihr nähret kümmerlich / Von Opfersteuern / Und Gebetshauch / Eure Majestät, / Und darbtet, wären / Nicht Kinder und Bettler / Hoffnungsvolle Toren.»

Franz Schubert hatte eine klare Vorstellung davon, wie dieses Lied des gefesselten Titanen klingen möge: Molto energico steht als Spiel- und Singanweisung über dem B-Dur-Stück, und genauso klingt es bei Kartal Karagedik und Helmut Deutsch – wie ein couragiert-rustikales Manifest des Widerstands, macht- und kraftvoll. Die Akkorde im Klavier sind gesättigt, Karagediks bassgrundierter, kernig-gutturaler Bariton hebt sich voluminös, aber keineswegs brachial darüber hinweg. Diese Stimme steht auf festem Fundament, sie vermag Mauern zu sprengen und ins Wilde auszubrechen, so etwa bei der verzweifelten Frage «Wer half mir / Wider der Titanen Übermut?», aber sie kennt – und darin liegt ihre singuläre Qualität – auch Nuancen, Zwischentöne, Schattierungen. Wenn etwa Prometheus Zweifel überkommen («Wähntest Du etwa / ich sollte das Leben hassen, / In Wüsten fliehen, / Weil nicht alle Blütenträume reiften?»), dann klingt sie plötzlich mild und sanft und leise. In dieser Vielfalt der Farben und rhetorischen Valeurs liegt das Surplus des Albums «Prometheus», und auch konzeptionell vermag die Auswahl aus Schuberts reichhaltigem Liedkosmos zu überzeugen. Sämtlich drehen sich die Stücke um mythologische Figuren, erzählen sie Geschichten von Titanen, Helden und Göttern aus der Ober- und der Unterwelt, die aber über ihren reinen Gehalt hinaus auch Bedeutung fürs Heute gewinnen, weil Karagedik und Deutsch ihnen eine enorme poetische, klanglich wie semantisch verdichtete Aktualität verleihen. Über allem schwebt die bange Frage, wie sie in Goethes Gedicht «Die Götter Griechenlands» formuliert wird: «Schöne Welt, wo bist du?» Und dieser Frage gehen die Interpreten mit einer Dringlichkeit nach, die für sich einnimmt, weil sie die gesamte Bandbreite der Empfindungen in Text und Musik zu vermitteln weiß. Kein Vers verliert sich im Irgendwo, jedes Wort hat Gewicht, ohne aber überbetont zu werden. Ein gutes Beispiel bildet «Memnon» auf Verse von Johann Mayrhofer. Schubert taucht es in «heiliges» Des-Dur, jene Tonart, in der beispielsweise Barak und die Färberin in Strauss’ «Frau ohne Schatten» erscheinen, als sie sich nach langem Streit wieder versöhnen; mithin eine Tonart, die das Hintergründig-Spirituelle birgt und hier durch die pochenden Triolen des Klaviers zu Beginn fast eine Atmosphäre der Tristesse erzeugt. So kennen wir es auch aus dem langsamen Satz von Ravels «Gaspard de la Nuit». Es ist schon verblüffend, wie raffiniert Schubert das Dur verschleiert, wenn er den Protagonisten «in nachtgebor’nen Nebelmauern» einschließt und damit jene «schmerzlichen Gefühle» evoziert, die das Alter Ego des Dichters (und auch des Komponisten) überkommen, noch bevor er sehnend aus dem traurigen Traum erwacht.

Karagedik und Deutsch gestalten das alles mit stupendem Detailreichtum, mit größtmöglicher Noblesse und artikulatorischem Feinsinn. Beider Agogik ist minuziös aufeinander abgestimmt, und auch die Grundstimmung jedes einzelnen Liedes erfährt hier eine harmonische, zuweilen kongeniale Umsetzung. Was besonders schön ist: Schubert klingt nicht in einem einzigen Lied larmoyant oder weinerlich, sondern immer subtil und subversiv. Wie Prometheus selbst, der Titelheld dieses Albums. Die schöne Welt, das weiß auch er, ist irgendwo da draußen. Aber er spürt und sieht sie nur in lichten Momenten. Wie etwa im finstersten Lied von allen, der Heine-Vertonung «Atlas». Mag der Weltenschmerzträger noch so hörbar grollen («Ich trage Unerträgliches, und brechen / will mir das Herz im Leibe»), so ist er doch stets von der eigenen Stärke überzeugt, wissend, das er ein «stolzes Herz» sein Eigen nennt.

SCHUBERT: PROMETHEUS
Kartal Karagedik (Bariton), Helmut Deutsch (Klavier)
Prima Classic PRIMA060 (CD); AD: 2024

VERLOSUNG Am 10. April um 10 Uhr verschenken wir 5 Exemplare dieser CD an die ersten Anrufer: 030/25 44 95 55


Opernwelt April 2025
Rubrik: Medien, Seite 29
von Jürgen Otten

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