Magisch versponnen
Erst ragt ein Fuß aus dem schrägen Kaminrohr. Dann ein Bein. Schließlich rutscht ein ganzer Kerl heraus. Landet auf einer leeren, blaustrahlenden Bühne. Splitternackt, die Haut kreidefahl. Ein Luftwesen, das keinen festen Boden kennt. Schon gar nicht den Zweck der roten Märchenkaterstiefel, die an der Rampe stehen. Die Ordnung der Dinge, die Logik der Welt ist Perelà so fremd wie die gerade vorbeischlurfende Alte. Ein Kuriosum wie der Körper, in den er soeben gefahren ist. Tastend, stockend, tänzelnd, mit großer Anmut spielt der Tenor Peter Tantsits diese «Geburt».
Tritt fassen muss am Anfang auch das groß besetzte Philharmonische Orchester des Mainzer Staatstheaters: Aus einer einzigen Motivzelle treiben die Musiker unter GMD Hermann Bäumer schwebende Klanggespinste, fluoreszierende Tonwolken, krachende Sound-Gewitter, die das Geschehen bis zu den letzten Flötenseufzern begleiten. Die aufziehen, wirbeln und verwehen wie der ephemere «Held» der vor zwölf Jahren uraufgeführten vierten Oper des französischen Komponisten Pascal Dusapin (Ende März bringt La Monnaie in Brüssel sein jüngstes Bühnenwerk heraus: «Penthesilea»). Nach Vorstellungen in Paris (siehe OW 4/2003) und Montpellier, ...
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Opernwelt März 2015
Rubrik: Im Focus, Seite 22
von Albrecht Thiemann
Vor sechs Jahren sang Philippe Jaroussky auf dem Album «Opium» erstmals französische Lieder der Belle Époque (siehe OW 5/2009). Im Sinne einer Mentalitätsgeschichte der Klänge ließe sich auch rechtfertigen, dass ein Countertenor dieses Repertoire pflegt, gerade jetzt, da Jaroussky zwei neue CDs mit Liedern nach Paul Verlaine aufgenommen hat. Als 1869 durch die...
Endlose Tonangeln mit einem Puschel am Schluss. Eine Personenrevue ohne durchlaufend-konsistente Handlung. Ein Opernballett-Zwitter vom Schablonenmeister des französischen Hochbarock. Kennt kein Mensch. Und doch brachten es die «Fêtes vénitiennes» des André Campra ab 1710 auf mehr als 300 Aufführungen, wobei das Werk zahllose Umarbeitungen erfuhr. Ein rauschender...
Vielleicht hört den inneren Klang der Sprache und das Sprechen des Klangs besonders klar, wer alle Gewissheiten verloren hat. Wer sich der Leere einer selbstgewählten Aphasie aussetzt, Halt im Flugsand sucht. Wer das Nichts, die Stille als Resonanzraum wiederentdeckt. Und so Laute, Silben, Wörter, Geräusche, Töne, Melodien, Harmonien: die Grundstoffe jeder...
