Korridor des Horrors
Kein Vorspiel, kein Vorhang. Nur jede Menge Bretter, die die Welt bedeuten. Es handelt sich um Dachlatten, schon ziemlich abgenutzte Secondhand-Exemplare, schwärzlich oder bräunlich, marode und verwittert, aus denen das überschaubare Reich des König Lear zusammengenagelt worden ist. Latte für Latte bilden sie einen schmalen Korridor. Viel Platz haben sie also nicht, Lears böse Töchter, um einander auszutricksen und sich selbst und Land und Leute in Krieg und Ruin zu treiben.
Aribert Reimanns emphatische Shakespeare-Oper «Lear», seit der Münchner Uraufführung anno 1978 bereits 27-mal neu inszeniert, wird vom Setting am Palais Garnier in Paris auf das Format eines Kammerspiels zurückgebucht. Und ganz shakespearisch marschieren zunächst auch erst mal alle Spielteilnehmer an der Rampe auf, Albany, Kent, Gloster, Cornwall, France und so weiter, Glosters Söhne, Lears Töchter, als Darsteller ihrer selbst. Wie Raubtiere fixieren sie ihr Opfer, das Publikum, um später, während der ersten Verwandlungsmusik, auf engstem Raum im Kreis herumzutigern, rastlos und sinnlos, wie die Tiere im Zoo, angetrieben vom Schnattern des Blechs, vom Donnern der großen Trommel.
Öfters fällt etwas Licht ...
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Opernwelt Juli 2016
Rubrik: Im Focus, Seite 16
von Eleonore Büning
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