Keine leichte Kost
1917, auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs und in den Straßen der vernarbten Städte sterben seit Jahren völlig sinnlos Millionen von Menschen, schreibt Walter Hasenclever ein bitterbös-gnadenloses Gedicht: «Die Mörder sitzen in der Oper!» Und kaum gewaltiger könnte der Unterschied zwischen den Sphären sein, die der Dichter in scharfschneidende, expressionistisch verfinsterte Verse kleidet: «Ein Zug entgleist. Zwanzig Kinder krepieren. / Die Fliegerbomben töten Mensch und Tier. / Darüber ist kein Wort zu verlieren. / Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.
» Zwei Jahre später wird das Gedicht veröffentlicht – «In memoriam Karl Liebknecht», jenes antimilitaristischen Sozialisten, der kurz zuvor, wie seine Mitstreiterin Rosa Luxemburg, von Mitgliedern der Garde-Kavallerie-Schützen-Division in Berlin brutal ermordet worden war.
Es ist keine leichte Kost, die uns Stefan Zednik mit seinen «Erkundungen zu einer unzeitgemäßen Kunst» serviert. Die Lektüre lohnt dennoch, weil sie mit kritisch reflektierendem Blick auf die Repräsentationsform Oper schaut, auf ihre bizarre, bisweilen absurde historische Selbstvergessenheit, als einer Kunstgattung, die als höfische in die Welt kam und bis ...
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Opernwelt April 2023
Rubrik: CDs, DVDs und Bücher, Seite 35
von Jan Verheyen
Am Jahrestag der russischen Invasion in die Ukraine eine Oper, die vor dem Hintergrund der Eroberungsfeldzüge Ivans des Schrecklichen spielt: Georges Bizets «Ivan IV» aus der ersten Hälfte der 1860er-Jahre war ein lange Zeit glückloses Werk. Aufführungspläne scheiterten, der fünfte Akt blieb unfertig. Der bedeutende Bizet-Biograf Winton Dean stampfte das Libretto...
Gott fährt Motorrad. Aber er benutzt es, sich seiner erhöhten (Sonder-)Stellung gewiss, nicht nur auf den dafür vorgesehenen Pfaden. Um die schöne Semele zu rauben, nimmt er ebenfalls den Zorn des Volkes in Kauf, das sich in einer schmucken Kirche zum, genau: Gottes-Dienst versammelt hat (Bühne: Tracy Grand Lord). Jupiter höchstselbst, denn von ihm geht hier die...
Am Anfang das (stumme) Rauschen des Wassers, in Form eines von Céline Baril auf die sandfarbenen Mauern von Babylon projizierten Videos. Am Ende das leise Gebet zum Schein der Kerzen, ein vielstimmiges «Amen». Dazwischen: die Hölle auf Erden. Händels «Belshazzar» in der Halle E des Wiener Museumsquartiers ist nichts für Kulinariker, die in barockoratorischen...