Herr Harald
Allein der erste Satz: zauberhaft. Lakonisch, poetisch, direkt. «Da ist er.» Und dann sein Name. «Herr Harald». Herr Harald hat keinen Nachnamen, aber eigentlich hat er auch keinen Vornamen. Er ist eben – «Herr Harald». Er selbst nennt sich einen Opernliebhaber, aber das ist ein wenig untertrieben, weil Herr Harald von der Musik, die er hört, doch mehr versteht, als er zuzugeben bereit ist. Das kleine Problem ist nur: Er hört diese Musik meist nur durch die Türen, gedämpft, verfälscht, wie eine Ahnung, wie ein unerfülltes Versprechen.
Denn Herr Harald steht dort, wo ihn niemand beachtet: hinter einem hölzernen Tresen, über den hinweg die Opernbesucherinnen und Opernbesucher ihm ihre Mäntel reichen. Und manchmal auch mehr als nur diese Mäntel.
Dagmar Leupold zeichnet ihn in ihrem Roman «Dagegen die Elefanten!» (dazu gleich mehr) mit liebevoller Präzision als einen Menschen, der allein ist, aber nicht einsam. Herr Harald könnte ein Bruder von Abschaffel sein, Wilhelm Genazinos Antiheld. Auch um ihn kümmert sich niemand. Er hat keine Freunde, keine Geliebte, nicht einmal Bekannte, nur irgendwann eine Katze, die er, weil er sich über deren Existenz wundert, «Nanu» nennt (dabei heißt ...
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Opernwelt 8 2022
Rubrik: Magazin, Seite 75
von Olga Myschkina
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