Grausames Märchen

Strawinsky: The Rake’s Progress Leipzig / Oper

Opernwelt - Logo

Vorsicht, superaktuelle Inszenierung! – ein taubenblauer PKW-Oldie thront zu Beginn im Vorgarten des bescheidenen Landhauses, als trügerische Idylle, kleinbürgerliches Sehnsuchtsobjekt für die blendend gelaunte Familie Trulove. Der erste Akt von Strawinskys «The Rake’s Progress» spielt sich in der Leipziger Inszenierung Damiano Michielettos mitten in diesem quietschbunt-adrett zurechtgestutzten Garten ab (Bühne: Paolo Fantin), mit Autowaschen und Rasenmähen als Lebensziel.

Die Trulove-Familie mit Vater und Tochter Anne sowie deren flattrigem Liebhaber Tom Rakewell entspringt hier der spießigen Welt einer Karikatur von Freizeit- und Spaßgesellschaft, der auch die grell-trivialen Klamotten entstammen (Carla Teti).

Aber da war ja noch beim Start, mit der von Monteverdi geklauten Toccata-Fanfare, der Varie­té-Glitzervorhang aus bühnenhohen Stanniolstreifen: Er demonstriert sozusagen die Stilmixturen des Stücks, die absurd gleißende, aus allen Elementen der Operngeschichte fabrizierte Kunstwelt des späten Musiktheaters eines fast siebzigjährigen Komponisten, der das Stück 1951 in Venedig aus der Taufe heben ließ, dort also, wo er auf der Friedhofsinsel San Michele begraben liegt. Die ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Juni 2014
Rubrik: Panorama, Seite 42
von Wolfgang Schreiber

Weitere Beiträge
Politkriminal-Liebelei

Es scheint dem Intendanten Frédéric Chambert ein besonderes Anliegen zu sein, der Gegenwart in der BelcantoStadt mehr Platz einzuräumen. Für den als Auftragswerk des Théâtre du Capitole soeben uraufgeführten Dreiakter «Les Pigeons d’argile» wandte er sich an Philippe Hurel, einen Komponisten aus Pierre Boulez’ IRCAM. Bislang hatte sich Hurel auf Instrumental- und...

Samiel, hilf!

Wir sind nicht fröhlich oder traurig. Wir sind fröhlich oder gewalttätig.» So hat Stephen King, der king of horror, das amerikanische Lebensgefühl einmal zugespitzt. Disneyland und Todesstrafe. Mörderische Spaßgesellschaft. Aus dieser Richtung scheint sich in Köln Regisseur Viestur Kairish dem Weber’schen «Freischütz» genähert zu haben. Der Wettstreit zwischen...

Wolkenklang

Noch ein weiteres Album, dann ist die Schubert-Edition geschafft. Nicht auf enzyklopädische Vollständigkeit zielt Matthias Goer­ne bei seinem Großprojekt: Es ist eine sehr persönliche Auswahl, die Lieder zu dramaturgisch sinnvollen Großeinheiten verbindet. Auch auf dem Doppel-Album «Wanderers Nachtlied», der vorletzten Folge, wird ohrenfällig, wo Goernes Stärken...