Göttin des Gemetzels
Doch nicht! Wir dachten schon, Medea macht sich jetzt mit dem Drachen davon. Mit diesem kleinen grünen Plüschmonster, einem Spielzeug ihrer Kinder. Stattdessen fliegt sie im verglasten Treppenhaus von Kreons schicker Regierungszentrale mit dem Fahrstuhl in die Luft. Die Explosion lässt die Türen Feuer spucken: Medea ist erledigt. Nach dem Gemetzel, das sie angerichtet hat, kann man sie kaum leben lassen. Nicht, wenn man sie als Mensch sieht. Das ist offenbar bis heute so.
1693 ließen Marc-Antoine Charpentier und Thomas Corneille die wilde Lady einfach auf einem Ungetüm davonziehen. Ihr Abgang war nur hinnehmbar, weil sie, zunächst so eindrucksvoll als irdisch Liebende gezeigt, am Ende die göttliche Hälfte ihrer Natur nach außen kehrt, so dass menschliche Gesetze und Moral nicht greifen. Und die Katharsis? Als Lehre bleibt wohl: Wer Pflicht und Gemeinwohl nicht über die Liebe stellt, bricht Unheil los.
Und darin besteht der eigentliche Reiz des Stücks, auch seine Modernität: dass das keiner der Figuren gelingt. Niemand ist grundschlecht, doch alle sind entsetzlich schwach. Niemandem versagen die Autoren gänzlich das Mitgefühl. Ganz sicher nicht Medea, die alles verliert und sich der ...
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Opernwelt März 2015
Rubrik: Panorama, Seite 41
von Wiebke Roloff
Man kennt ihn gut in Paris. 1988, da war er gerade 34 Jahre alt, wurde Stéphane Lissner Generaldirektor des Théâtre du Châtelet und bescherte dem Haus einen Aufschwung, von dem noch heute mancher schwärmt. Es folgten Leitungsposten u. a. beim Festival d’Aix-en-Provence und – an der Seite Peter Brooks – im Théâtre des Bouffes du Nord. Derweil sehnte man sich in...
Vor sechs Jahren sang Philippe Jaroussky auf dem Album «Opium» erstmals französische Lieder der Belle Époque (siehe OW 5/2009). Im Sinne einer Mentalitätsgeschichte der Klänge ließe sich auch rechtfertigen, dass ein Countertenor dieses Repertoire pflegt, gerade jetzt, da Jaroussky zwei neue CDs mit Liedern nach Paul Verlaine aufgenommen hat. Als 1869 durch die...
«Seit ich ihn gesehen ...»: Ein Frauenleben in neues Licht, neue Farben getaucht. Schwärmerische Gefühle einer demütig dem Manne hingegebenen Frau, beschrieben aus der Perspektive eines Mannes – des Dichters Adelbert von Chamisso. Seine Verse sind, wie man in Zeiten von Neofeminismus und Gender-Debatten sagen würde, politically incorrect; widerspruchsfrei ist das...
