Geschichtsstunde
Den Wald als romantische deutsche Seelenmetapher – es gibt ihn auch an diesem Abend. Doch wenn die beiden Kinder zu den Klängen des «Hexenritts» umherirren, umgibt sie in einer perfekt filmisch angelegten (Video-)Szenerie zunächst ein Häuser- und Ruinenwald in Schwarzweiß, über dem alliierte Bomber kreisen. Regisseurin Kateryna Sokolova und Bühnenbildner Nikolaus Webern haben Humperdincks Märchenoper «Hänsel und Gretel» im Weltkriegsjahr 1944 angesiedelt. Aber nicht nur. Die Inszenierung beginnt im Jahr 1960.
Man schaut – zu den Klängen des Vorspiels – auf die Bühne und Vertäfelungen eines kleinen klassizistischen Ständetheaters, vor dem drängelnde Schülerinnen und Schüler mit ihren schick gekleideten Eltern aufgeregt Platz nehmen. Die Welt ist (wieder) heil, bürgerlich heil. Bis zum Auftakt die Uhr am Bühnenportal plötzlich rückwärts zu laufen beginnt und die Küche des Besenbinderhäusleins die Gestalt einer des Jahres 1944 annimmt. Hänsel und Gretel sind Kriegskinder in ärmlichen Kleidern (Kostüme: Constanza Meza-Lopehandia), auf der Suche nach etwas Essbarem. Die Stiefmutter vom Krieg zermürbt, der Vater im Schwarzmarktgeschäft, Gewehre statt Besen: Sokolovas kluge Spiegelung des ...
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Opernwelt Dezember 2023
Rubrik: Panorama, Seite 39
von Alexander Dick
Zweimal eine Staatstheater-«Carmen» im Abstand von 170 Kilometern Luftlinie, zwei ehrgeizige Ansätze: der eine spektakulärer, der andere näher dran. Beide Abende, so unterschiedlich sie sind, blenden das Thema Tod so weit aus, wie es möglich ist, wenn in einer Oper alles auf den Tod hinausläuft. Und weder da noch dort, das ist konsequent, wird es auch nur für einen...
Aber darum geht es mir eben nicht, liebe Ellice!» – Mitten im Gespräch beginnt sie, die neue Oper des Komponisten Manfred Trojahn für die Deutsche Oper am Rhein. Mit einer Widerrede. Gegen eine eigene Aussage oder gegen ihre? Das bleibt links des Notenschlüssels verborgen, doch die Ich-Perspektive des Protagonisten Osbert Brydon ist gesetzt, erst in Takt 28 rückt...
Der Dirigent fehlt. Für sein neues Album hat sich Jakub Józef Orliński zwar erneut der Dienste des Ensembles Il Pomo d’Oro versichert, doch Maxim Emelyanychev steht nicht, wie sonst bei solchen Studioproduktionen, an dessen Pult. Die Gründe liegen im Dunkeln, doch schon nach einmaligem Hören lässt sich eines mit Gewissheit sagen: Es geht auch ohne. Die Musikerinnen...