Feuer im Eis
Leise rieselt der Schnee. Unablässig, dichter und dichter werdend, eine Stunde lang. Die Figuren müssen sich in dieser Winterlandschaft vorkommen wie der brave Hans Castorp aus Thomas Manns «Zauberberg», der sich bei einem Ausflug ins Gebirg’ zusehends verirrt und von den Schneemassen fast zugeschüttet wird. Eine Grenzerfahrung birgt auch Romeo Castelluccis Winterlandschaft, vor allem für Leukippos, den tapferen Hirten, der stürmisch und sterblich in Daphne verliebt ist, seine Gespielin aus vormaliger (besserer?) Zeit, sowie für die Bergnymphe und Priesterin der Gaea selbst.
Doch sie sucht förmlich nach dieser grundsätzlichen Naturerfahrung, ahnend, wenn nicht wissend, dass sie zu den Menschen nicht gehen will, zu ihrer Oberflächlichkeit, Selbstbezogenheit und Lieblosigkeit. Daphne, die radikal Andere, rebelliert bewusst gegen verkrustete gesellschaftliche Konventionen, die ihr eine «Rolle» zuschreiben, die sie nicht mag, ja nicht einmal «spielen» will. Dann doch lieber bei sich sein, solipsistisch-autonom, in (und mit) der Natur. Schon nach wenigen Minuten, der markante Hornruf zum Dionysos-Fest ist ungehört verhallt, entledigt sich Vera-Lotte Boecker ihres schützenden Mantels, ...
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Opernwelt April 2023
Rubrik: Im Focus, Seite 10
von Jürgen Otten
Da draußen in der Ukraine ist noch immer Krieg. Nach mehr als einem Jahr erscheint bei so manchen Menschen die Dauerbetroffenheit darob schon etwas scheinheilig. Die Frage des Für und Wider in Sachen Panzerlieferungen von deutscher Seite spaltet die Gesellschaft. Umso undenkbarer erscheint die Möglichkeit einer rein affirmativen Inansichtnahme von «Kriegsgerät» auf...
Also sprach Zarathustra: «Orlando, geh’ dahin und werde ein Held auf dem Feld der Ehre! Sei wieder der Krieger, der du einmal warst, vergiss die Liebe, sie hält nur von den wesentlichen Dingen ab und dauert ohnedies nicht an.» Gut gesagt. Allein, was hilft es, wenn einer verrückt ist, verrückt nach den Frauen oder besser: nach einer bestimmten Frau. Selbst der...
Niemand kann den König spielen», lautet eine alte Theaterweisheit, das müssen die anderen tun. Sie gilt erst recht für den Hochstapler, auf der Bühne wie im wahren Leben. Also sitzt er in der Prager Staatsoper an einem Wirtshaustischlein, die Hose etwas zu hoch sitzend, aber durchaus elegant (schließlich ist er Schneider), die Füße leicht nach außen gestellt wie...