Erniedrigte und Beleidigte

Zwei mitreißende Musiktheaterabende, ein schmalspuriger Epilog: Das Festival «Rebattre les cartes» der Opéra de Lyon präsentiert Puccinis «La fanciulla del West», Tschaikowskys «Pique Dame» und, als Uraufführung, «Otages» von Sebastian Rivas

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Un minuto … sii breve», eine Minute und keine Sekunde mehr gewährt der scharfe Sheriff seinem Liebeskontrahenten, dessen Ende längst beschlossen, das Grab tief genug geschaufelt ist. Und was macht Dick Johnson aus Sacramento, der eigentlich Ramerrez heißt und seinen Lebens -unterhalt für gewöhnlich damit verdient, andere Menschen auszurauben? Er stimmt, in der für solch heilige Zwecke schon bei Richard Wagner gern genutzten Tonart Ges-Dur, ein Gebet an, das schöner, inniger, leidenschaftlicher kaum sein könnte und (fast) alle Männer um ihn herum (be)rührt.

Und exakt so wünschte es sich auch sein Schöpfer – «con grande espressione, esaltandosi, col viso quasi sorridente», notierte Giacomo Puccini als «Haltung» über dem Andante molto lento «Ch’ella mi creda libero lontano», mit dem die Oper «La fanciulla del West» auf ein völlig unerwartetes lieto fine zusteuert.

Riccardo Massi nutzt an der Opéra de Lyon die sich ihm bietende Chance. Seine satt-saftige Tenorstimme schwingt sich zu einem wahrlich seelenvollen Sehnsuchts-Lamento empor, da bleibt kein Auge trocken. Und wenn Sekunden später auch noch Chiara Isotton als Minnie wie eine westerntaugliche Windsbraut auf die Szene saust, ...

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Opernwelt Mai 2024
Rubrik: Im Focus, Seite 6
von Jürgen Otten

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