Endspiel

Wagners «Parsifal» in zwei höchst unterschiedlichen Lesarten: durchdacht und doppelbödig am Theater Ulm, spekulativ-verwirrt am Staatstheater Nürnberg

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Manchmal entscheiden die ersten Minuten über den Ton einer Aufführung, und damit ist nicht die Musik gemeint. In Nürnberg entert ein munterer Mann das Parkett. «He, ho, Waldhüter», ruft er. Weniger in Richtung Knappen, sondern gen Premierengemeinde. Nicht einschlafen, die Sache dauert schließlich noch fünf Stunden, signalisiert er augenzwinkernd – und küsst einer überraschten Dame in Reihe eins die Stirn. In Ulm hebt sich der Vorhang, und da liegt ein junger Geistlicher. Am Kreuz steht statt «INRI» das Nietzsche-Verdikt «Gott ist tot».

Der schon auch, zuvörderst aber einer seiner Stellvertreter auf Erden. Blut fließt aus dem Arm, ein Suizid, dieser Mann hat eine sektiererische Gemeinschaft nicht mehr ausgehalten.

Der Unterschied zwischen beiden «Parsifal»-Produktionen: Am Stadttheater Ulm geht das so weiter – stringent, durchdacht, doppelbödig. In Nürnberg hingegen fallen die fünf Stunden auseinander. Letzteres ist Konzept, aber in der Realität kaum hinreichend und stückerfüllend. Von Mitleid weiß in Ulm jedenfalls keiner. Diese Männer in schwarzen Anzügen und mit Kollar singen von Liebe, greifen aber zum Schwert, um sich zur Phalanx zu formieren. Wer zweifelt, wird abgeführt.

Und ...

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Opernwelt Mai 2024
Rubrik: Im Focus, Seite 16
von Markus Thiel

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