Ein Meyerbeer für unsere Zeit

In Brüssel bieten Marc Minkowski und Olivier Py «Les Huguenots» in nie gehörter ­Vollständigkeit. Dass Meyerbeer unsingbar sei, ist nur eines der vielen Vorurteile, die diese Aufführung widerlegt

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Der Vorgang ist von bezwingender Wirkung. Er ereignet sich im vierten Akt, der am Vorabend der «Bartholomäusnacht» spielt. Zehntausende Protestanten (= Hugenotten) fielen 1572 einem vom katholischen Königshaus gesteuerten Mordkomplott zum Opfer. Wenn der versammelte Pariser Mob – von fanatischen Mönchen auf die Bluttat als «heilige Sache» eingeschworen – in der Brüssler Aufführung seine Entschlossenheit zum Glaubenskrieg bekräftigt, drehen die Mörder Kreuze, die sie in ihren Händen halten, und ergreifen sie vom anderen Ende her. Eine synchrone Bewegung.

Plötzlich haben sich die Kreuze in emporgereckte Schwerter verwandelt: ein veritabler «coup de théâtre» (zumal er mit der musikalischen Klimax der Massenszene zusammenfällt) und doch weit mehr als das. Dass das Symbol des christlichen Glaubens mit dem des Krieges vertauscht wird – und zwar in einer Weise, die beide als Kehrseiten derselben Medaille kenntlich macht – verdichtet «Les Huguenots» in einem szenischen Bild von schockierender Ausdruckskraft. Gefühl und Verstand sind gleichermaßen bewegt. Es ist einer der zahlreichen Augenblicke dieser Inszenierung, die exemplarisch deutlich machen, was Musiktheater-Regie heute leisten kann ...

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Opernwelt August 2011
Rubrik: Im Focus, Seite 6
von Sieghart Döhring

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