Die zerbrechliche, gefährdete Form

Neue Lied-CDs machen auch auf vergessene Komponisten aufmerksam

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«Zu behaupten, dass man heute Musik schreiben kann, die nicht den Zustand von Verheerung widerspiegelt, dem die Menschen im Spätkapitalismus unterworfen sind, heißt, Musik mit Scheuklappen schreiben, um es vorsichtig zu sagen», bemerkte Hans Werner Henze 1969 in «Musik ist nolens volens politisch». Später freilich re­lativierte er diese Behauptung, doch die grundsätzliche Frage nach der Funktion von Kunst in verheerenden Zeiten, wodurch auch immer, bleibt.

Ist Kunst nur dann «schön», wenn sie wahr ist? Kann pure Schönheit niemals wahr sein, auch wenn sie nicht bloß als ästhetischer Überbau, als L’art pour l’art sich definiert? Was ist Wahrheit? Was Schönheit? Umgekehrt: Soll «schöne» Kunst über die Wahrheit hinwegtrösten, sie nostalgisch wegspiegeln?
Nostalgie ist ja, wie ein kluger Mensch bemerkte, die Trauer darüber, dass nichts mehr so ist, wie es früher nicht gewesen ist. Aribert Reimann greift diese Problematik in dem aus von ihm in eine dramaturgische Abfolge gebrachten und für Sopran und Streichquartett bearbeiteten Heine-Liedern Mendelssohns «... oder soll es Tod bedeuten» (1996) auf: Er dringt in die Tiefe seelischer Befindlichkeiten und lässt dabei jene Verheerungen ...

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Opernwelt Dezember 2006
Rubrik: CDs, Seite 56
von Gerhard Persché

Vergriffen
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