Die schwindelerregende Endlichkeit des Seins
Ein Orang-Utan-Weibchen, durch Käfighaltung, Transporte und Tierversuche geschunden, der rechte Oberarm aufgerissen, der Blick leer, das Haar so dünn, dass die Kopfhaut durchscheint – dergestalt zeigt sich die Zauberin Alcina am Ende von Georg Friedrich Händels gleichnamiger Oper. Kein glitzerndes Paillettenkleid von Louis Désiré, keine Strasssteinmaske für Stirn und Haare deckt mehr die körperlichen Makel. Der Zauber ist hin.
Aus den Tieren, die ihre Liebhaber waren, sind wieder Menschen geworden: sechs muskulöse Kerle, die in der wuchtigen Streetdance-Choreografie von Ran Arthur Braun Front machen gegen die machtlose Frau. Zum schlagkräftigen Rudel sind sie verschmolzen, die doch vorher so individuell schienen als Möwe, Fliege, Krokodil, als Fisch, Hirsch und Hund. Sanft waren sie als Tier. Als Menschen sind sie mitleidlos, grob, ja brutal. Die Entzauberung der Welt gebiert Ungeheuer.
Francisco Negrin nutzt in seiner Inszenierung von «Alcina» – diesmal am alten, exzellent klingenden Opernhaus Kopenhagen, koproduziert mit der Oper Oslo – die metaphorische Bildlust des barocken Theaters, um nochmals an die Dialektik der Aufklärung zu erinnern. Kostüm und Nacktheit, Magie und ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Opernwelt April 2015
Rubrik: Im Focus, Seite 4
von Jan Brachmann
Italienische Schuhe sind für konzertante Opernaufführungen einfach nicht gemacht. Klick, klack, klick, klack. Vom Kontrollmitschnitt der «Aida» unter Antonio Pappano wird Warner für die CD-Veröffentlichung (geplant für Oktober) nicht viel verwenden können – aufgrund der geräuschvollen Auf- und Abtritte Anja Harteros’, Jonas Kaufmanns und der übrigen Solisten....
Als Donizettis «Don Pasquale» 1843 uraufgeführt wurde, kam dem Rezensenten der «Leipziger Illustrirten Zeitung» die äußerliche Handlung reichlich abgestanden vor. Der alte Geizhals Don Pasquale, der sich eine junge Frau angelt, um dann unter ihren Pantoffel gestellt zu werden, sei der «Schatten eines längst Abgestorbenen, den man vergessen hat zu beerdigen, und der...
Der Befund ist kaum neu: So wie das Schauspiel immer weniger seinen Texten vertraut und durch den Griff der Protagonisten nach dem obligatorischen Mikrofon zum Musiktheater wird, so wird in der Oper der Vertrag mit der Partitur brüchiger. Solange aber Uraufführungen als Auftragswerke in den herkömmlichen Opernbauten und unter den üblichen Bedingungen genormter...