Böhmen liegt am Meer
Was habe ich nur verbrochen, dass ich so viel leiden muss!» Dieser Stoßseufzer Smetanas, bei deutschen Theaterbesuchern längst ein geflügeltes Wort, ist in tschechischen Opernhäusern undenkbar. Prag, Olmütz und Brünn, Pilsen und Aussig inszenieren publikumsfreundlich, die Dramaturgie wird den Stücken gerecht, Bühne und Kostüme ergeben Sinn und bereiten sogar Vergnügen. Der Smetana-Zyklus in Ostrava, dem einstigen Mährisch-Ostrau, bestätigt die grundsolide und deswegen noch lange nicht provinzielle Arbeits- und Kunstauffassung eindringlich.
Trachtenterror und IdyllenInflation sind immer auch ein bisschen Flunkerei. Hier ist die Oper noch ein Fest, und an neun aufeinander folgenden Tagen wird ein echtes Festival daraus.
Vor 150 Jahren sah das anders aus. Smetana klagte nicht grundlos, er litt furchtbar, wahrscheinlich so sehr wie kein anderer Komponist jener Zeit. Drei Töchter starben im Kleinkindalter, ihnen folgte seine junge Frau, eine zweite Ehe ging gründlich in die Brüche. Er selbst erkrankte – wie eine Obduktion nahelegte – an Syphilis und endete, vollständig ertaubt, im Irrenhaus.
Seine Landsleute bereiteten ihm die Hölle auf Erden. Obwohl er 1861 nach seiner Rückkehr aus ...
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Opernwelt Mai 2024
Rubrik: Essay, Seite 62
von Volker Tarnow
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