Bittere Erfahrung
Schon die Hochzeitsfeierlichkeiten im ersten Akt des «Guillaume Tell», Rossinis Grand Opéra über Fremdherrschaft, Widerstand und widerwilliges Heldentum, sind durchsetzt von düsteren Vorahnungen. Jeder hat so seine Sorgen, politisch wie privat: Tell selbst, der alte Melcthal und sein Sohn Arnold, sie alle stecken in einem Dilemma, und das findet musikalisch Niederschlag in nüchternen Klängen, einer Art getragener Eleganz.
Aber richtig spürbar wird der Terror der österreichischen Besatzungsmacht erst, als der Hirte Leuthold auftaucht, gehetzt, verfolgt: Er hat einen Soldaten getötet, weil der seine Tochter vergewaltigen wollte. Rossini ging in seiner letzten Oper fast wie ein Romancier vor. Dass wir uns an Leutholds Auftritt erinnern, ist essenziell für den dritten Akt, in dem die Schweizer Frauen genötigt werden, für die österreichischen Soldaten zu tanzen. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was ihnen blüht, sollten sie sich den Invasoren widersetzen.
Damiano Michieletto führt in seiner Inszenierung am Royal Opera House die dieser Szene innewohnende Bedrohung schonungslos, schmerzhaft vor. Ein Trupp Soldaten nimmt sich eine der Frauen vor (die Schauspielerin ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt August 2015
Rubrik: Im Focus, Seite 8
von Anna Picard
Die Musik ist ein gemischter Salat, angerichtet von vielen Könnern», besagte ein Bonmot neapolitanischer Impresari über die Gattung des Pasticcio. Das beherzigte mitunter auch der geschäftserfahrene Georg Friedrich Händel: Für seine Saison-Menus am King’s Theatre in London rührte er je nach Bedarf und Auslastungszahlen Pasticci aus der neapolitanischen Küche...
Im äußersten Norden der Republik stemmte man sich wieder einmal gegen den theatralen Weltuntergang: Das Schleswig-Holsteinische Landestheater, dieser seit vielen Jahrzehnten bewährte Zusammenschluss der Bühnen von Flensburg, Schleswig (als Verwaltungshauptsitz), Rendsburg und neun weiteren Bespielorten, drohte auseinanderzubrechen. Begonnen hatte das Drama im Juli...
«Juditha triumphans» auf der Opernbühne? Ein venezianisches Publikum im 18. Jahrhundert hätte dagegen wohl Einwände erhoben: zu wuchtig der Klang des opulent besetzten Orchesters (zu teuer im Übrigen auch fürs Budget des Impresarios), zu viele Chöre und kein einziges Duett, die Hierarchie der Figuren zu flach, stattdessen gleich fünf Sängerinnen im Ensemble mit...