Augen zu und durch
Einst riet Richard Wagner dem nach Bayreuth gereisten Friedrich Nietzsche, er solle die Augen schließen und die Musik nur hören. Zu gern wäre man dieser Empfehlung bei der Hamburger Premiere von Rossinis «Guillaume Tell» gefolgt. Denn gegenüber der angestrengt um Gegenwartsbezüge bemühten szenischen Einrichtung von Roger Vontobel (seine erste Opernregie) und dessen Dramaturg Albrecht Puhlmann bringt vor allem die musikalische Einstudierung und Realisierung unter dem Dirigenten Gabriele Ferro Gewinn für Geist und Sinne.
Wie schon Berlioz’ «Les Troyens» zu Beginn der Saison wird auch Rossinis «Tell» nicht als Grand Opéra gespielt: Die genretypischen Ballettmusiken hat man gestrichen, etliche Ensemble- und Gesangspassagen, wenn auch nicht einschneidend, gekürzt.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts stellt sich bei Rossinis letztem Bühnenwerk die Frage: Welcher Tenor ist überhaupt in der Lage, die Unzahl hoher, bis in zweigestrichene Sphären führender Töne in der Partie des Arnold zu singen? 456-mal g’, 93-mal as’, 92-mal a’, 54-mal b’, 15-mal h’, 19-mal c’’, zweimal cis’’, zählte James Joyce einst. Eine Sache der Unmöglichkeit? In Hamburg wird die Aufgabe von dem koreanischen Tenor ...
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Opernwelt Mai 2016
Rubrik: Im Focus, Seite 4
von Jürgen Kesting
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