Aufenthalt im Unwillkürlichen
In einem Essay aus dem Jahr 1978 mit dem Titel «Ins eigene Fleisch» entwirft Wolfgang Rihm das idealische Wesen und Sein seiner ästhetischen Existenz. Und er tut dies mit einer Selbstverständlichkeit, die das Übermäßig-Unbotmäßige seines Komponierens schon zu diesem relativ frühen Zeitpunkt evoziert: «Ich habe die Vorstellung eines großen Musikblocks, der in mir ist. Jede Komposition ist zugleich ein Teil von ihm als auch eine in ihn gemeißelte Physiognomie. Dieser Block ist einer starken Erosion ausgesetzt.
Der Spalt- und Modelliervorgang, der Bild und Negativbild hervorbringt, ist der kompositorische Akt: ein Faden aus Zeit.» Als er das schreibt, knüpft Rihm diesen Faden bereits mit erheblicher Souveränität und dem Gespür für die gesellschaftliche Relevanz seines Tuns. Ein Werk wie «Dis-Kontur» von 1974 etwa greift ganz bewusst bundesrepublikanische Realität auf, ahnt klingend, dass der deutsche Herbst bevorsteht, skizziert (und kommentiert) die aufgebrachte Stimmung im ganzen Land («Alles zittert von verhaltener oder ertragener Gewalttätigkeit») und lässt an Adornos Einschätzung (aus der «Ästhetischen Theorie») denken, dass nämlich «zur Selbstverständlichkeit wurde, dass nichts, ...
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Opernwelt März 2022
Rubrik: Essay, Seite 34
von Jürgen Otten
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