Aufenthalt im Unwillkürlichen
In einem Essay aus dem Jahr 1978 mit dem Titel «Ins eigene Fleisch» entwirft Wolfgang Rihm das idealische Wesen und Sein seiner ästhetischen Existenz. Und er tut dies mit einer Selbstverständlichkeit, die das Übermäßig-Unbotmäßige seines Komponierens schon zu diesem relativ frühen Zeitpunkt evoziert: «Ich habe die Vorstellung eines großen Musikblocks, der in mir ist. Jede Komposition ist zugleich ein Teil von ihm als auch eine in ihn gemeißelte Physiognomie. Dieser Block ist einer starken Erosion ausgesetzt.
Der Spalt- und Modelliervorgang, der Bild und Negativbild hervorbringt, ist der kompositorische Akt: ein Faden aus Zeit.» Als er das schreibt, knüpft Rihm diesen Faden bereits mit erheblicher Souveränität und dem Gespür für die gesellschaftliche Relevanz seines Tuns. Ein Werk wie «Dis-Kontur» von 1974 etwa greift ganz bewusst bundesrepublikanische Realität auf, ahnt klingend, dass der deutsche Herbst bevorsteht, skizziert (und kommentiert) die aufgebrachte Stimmung im ganzen Land («Alles zittert von verhaltener oder ertragener Gewalttätigkeit») und lässt an Adornos Einschätzung (aus der «Ästhetischen Theorie») denken, dass nämlich «zur Selbstverständlichkeit wurde, dass nichts, ...
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Opernwelt März 2022
Rubrik: Essay, Seite 34
von Jürgen Otten
Als sich 1720 im King’s Theatre am Londoner Haymarket erstmals der Vorhang zur Eröffnung der neugegründeten Royal Academy of Music hob, begann sogleich der Wettstreit um die Gunst des Londoner Publikums zwischen Händel und seinem wichtigsten Konkurrenten, dem Italiener Giovanni Bononcini. Im Jahr darauf schürte die Direktion das Feuer, indem sie die Rivalen zur...
Hätten wir nicht die Musik selbst, das Schönste an diesem Album wären die Bilder. Präziser: jene Fotografien, auf denen Martha Mödl im eleganten Abendkleid neben dem ernst dreinblickenden Wieland Wagner in ein munteres Gelächter ausbricht, als «Ring»-Heroine auf der Wagnerschen Scheibe hockt, oder im quartetto grazile mit ihrem Sangespartner Wolfgang Windgassen,...
Herr Carp, Sie haben gerade an Ihrem Haus Massenets «Manon» inszeniert. Ihre fünfte Musiktheaterinszenierung. Welche Qualitäten muss ein Stück mit Musik haben, um Sie als Schauspielregisseur anzusprechen?
Sehr schwierige Frage … Es ist ganz spezifisch, wie auch bei Dramen. Das einzige Kriterium, das ich nennen könnte: Es muss Menschen erzählen. Oder ich muss das...