Auf der Kippe
Das Bonmot, dass Tradition nicht die Verehrung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers sei, stammt keineswegs, wie oft behauptet, von Gustav Mahler, sondern aus der Wortschatzkammer des französischen Sozialdemokraten Jean Jaurès. Doch natürlich passt die Metapher auch gut nach Wien, wo noch vor nicht allzu ferner Zeit Besucher eine hochrangig besetzte Aufführung von Bergs «Wozzeck» türenknallend verließen. Zeitgenössische Musik musste sich an den großen Opernhäusern der Stadt lange vorkommen wie der Parvenü vom Lande, der alle paar Jahre mal gnädig zum Diner geladen wird.
Auch wenn diese Perspektive sich seit ein paar Jahren etwas zu relativieren schien, da etwa die Wiener Staatsoper zumindest ein zeitgenössisches Stück pro Spielzeit als Neuinszenierung oder gar Uraufführung herausbrachte, sind doch wichtige Werke der Moderne an Wiens ersten Häusern vorbeigegangen, darunter Ligetis «Le Grand Macabre», Messiaens «Saint François d’Assise», Reimanns «Lear» und Adams’ «Nixon in China». Für Pendereckis Musiktheater «Die Teufel von Loudun» reichte es 1973 – dank eines Gastspiels der Oper Stuttgart – immerhin zu einem Kurzbesuch an der Staatsoper.
In die Bresche sprang angesichts ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Opernwelt Juli 2021
Rubrik: Magazin, Seite 62
von Gerhard Persché
Giusto Fer(di)nando Tenducci (ca. 1735–1790) war ein leuchtendes Beispiel dafür, dass Kastraten ihre Libido und veränderte Körperfettverteilung durch Testosteronsubstitution wieder normalisieren konnten, so dass die zu einem vokalen Wipfel-Dasein Erkorenen sich auch ein bewegtes erotisches Leben nicht versagen mussten. Zumal das Messerchen ja «bloß» die Hoden...
Das Stück? Im Grunde unspielbar. Ein Ungetüm mit 50 Personen, in seiner Urgestalt elf Stunden lang, mehr geschichtsphilosophisches Opus summum seines Schöpfers, bis zum Bersten gefüllt mit katholisch grundierter Anschauung und durchdrungen von jenem feu sacré, das auch die anderen Theatertexte Paul Claudels erleuchtet. «Le Soulier de satin», zwischen 1919 und 1923...
Die Causa ist überliefert. Eine junge Frau aus bürgerlichem Hause. Nach dem Tod des Vaters gerät sie in die Fänge ihrer sadistisch veranlagten Schwägerin. Durch diese dauerhaft gedemütigt und von unsichtbaren Dämonen getrieben, legt sie in ihrer Heimatstadt Tangermünde ein Feuer – mit unübersehbaren Folgen. In seiner Novelle «Grete Minde» greift Theodor Fontane die...
