Auch Kannibalen sind bestechlich

Das Dortmunder Ensemble lässt sich mit einer Punkband ein und macht ordentlich Krach – frei nach Nestroy und Offenbach

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Zwei Stämme menschenfressender Indianer als Gleichnis für die Mächtigen seiner Zeit: Johann Nestroy ging nicht gerade subtil zu Werke, als er 1862 den «Häuptling Abendwind» auf die Wiener Bühnenbretter brachte, eine «indianische Faschingsburleske» mit Musik von Jacques Offenbach. Dass aus dem kleinen Singspiel gut 150 Jahre später eine Punkoperette werden würde, konnte Nestroy nicht vorhersehen.

Doch so rabiat, derb und schwitzend die Aufführung im Dortmunder Schauspiel auch daherkommt – im Kern ist sie wahrhaftig eine Operette, eine Fete der Freiheit, ein Rausch, der die Ketten sprengt.

In einer Operette steht nicht der Sinn, sondern die Sinnlichkeit im Vordergrund. Es kommt auf den Rhythmus an, den Witz, das lustvolle Überschreiten gesellschaftlicher Grenzen. Und die liegen für eine Punkband naturgemäß woanders als für ein gutbürgerliches Publikum. Die Kassierer aus Bochum-Wattenscheid haben sich in 30 Jahren treue Fans ersungen. Ihre Konzerte sind Happenings – da gibt’s jede Menge nackte Haut, Gematsche mit Lebensmitteln, frauen- und veganerfeindliche Texte, laute, treibende Beats. Echte Aggression steckt nicht dahinter. Sondern die Lust, sich mal so richtig zum Affen zu machen. ...

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Opernwelt März 2015
Rubrik: Magazin, Seite 85
von Stefan Keim

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