Wien: 1, 2 oder 3
Man vergisst gern, dass «Der Kaufmann von Venedig» eigentlich eine Komödie ist. Der Handlungsstrang um die reiche Portia, die mittels Kästchenspiel einen geeigneten Mann sucht, könnte aus dem Märchenbuch stammen. Und das aberwitzige Leihgeschäft zwischen Antonio und Shylock, in dem ein Pfund Menschenfleisch als Pfand dient und ein falscher Winkeladvokat am Ende das Recht verdreht, ist Stoff für einen derben Schwank. Das Problem dabei: Shylock ist Jude. Das rückt das Stück, jedenfalls aus heutiger Perspektive, stark in Richtung Tragödie.
Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Im Wiener Volkstheater, wo Intendantin Anna Badora das Stück zum Saisonauftakt inszenierte, stehen die Zeichen stark auf grelle Komödie. Die Bühne (Thilo Reuther) ist eine Mischung aus prolligem Spielcasino und trashiger TV-Kulisse. Venedig präsentiert sich als halbseidenes Zockernest, die Clique um Antonio ist ein unsympathischer Haufen aalglatter Macho-Ragazzi, die sich zu wummerndem Discosound wegshaken, schlechte Witze auf Kosten von Blondinen und Juden reißen und zum Maskenfest als Horrorclowns gehen. Ausgesucht billig auch die Kulisse für die Portia-Szenen: Wie in einer dieser endlosen Gameshows im ...
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Theater heute Oktober 2018
Rubrik: Chronik, Seite 67
von Wolfgang Kralicek
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