Theater als Arbeit am Bösen
Was Heiner Müllers «Horatier» gerade heute zum Terrorismus zu sagen hat
Der namenlose Kämpfer stößt dem verwundeten Gegner, der am Boden liegt und «mit schwindender Stimme» um Schonung bittet, «sein Schwert in den Hals, daß das Blut auf die Erde» fällt, er wirft sich das blutige Schlachtkleid des Getöteten über die Schulter, steckt sich dessen Waffe in den Gürtel und behält das eigene blutige Schwert in Händen. So wird er vom Volk bejubelt.
Die Rede ist nicht von einem islamistischen Milizionär in Diensten des IS, der einen weiteren Gefangenen enthauptet hat.
Die Rede ist nicht von einer Szene aus dem Jemen, dem Sudan, der Ukraine oder einem der vielen anderen gegenwärtigen Schauplätze extremer Gewalt. Die Rede ist von einem von uns. Von dem «Horatier» in Heiner Müllers gleichnamigem Stück, das paradigmatisch stehen könnte für ein Theater, das sich begreift als «Arbeit am Bösen»: Damit ist zunächst einmal gemeint, dass das Theater, entgegen seiner aufklärerischen Rechtfertigungen als «moralische Anstalt», Stätte der Erziehung, der Nationenbildung und Selbstverständigung einer Gesellschaft, in seiner abendländischen Form von seinen Anfängen bis zu den jüngsten Beispielen der ...
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Theater heute März 2016
Rubrik: Essay, Seite 44
von Nikolaus Müller-Schöll
Es ist fürwahr nicht leicht, den Glamour des alten Hollywood an diesen Ort zu tragen. In der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel, wo allabendlich große Massen Publikum verklappt werden, lenkt eine beflissene Lautsprecherstimme die Zuschauerströme vor die jeweils richtige Eingangstür: für Wladimir Kaminer bitte nach K6, für «Nazisupermenschen» von Showcase Beat le Mot...
Bittersüße Melancholie und traumgleich verschobene Wahrnehmung – der Titel von Henriette Dushes bereits 2011 entstandener «Bühnenelegie» (ausgezeichnet mit dem Grabbe-Preis und dem Lenz-Preis für Dramatik) setzt zweifellos poetische Assoziationen frei. «Drei Spielerinnen» und einen «Männerchor von drei Stimmen» führt Dushe in diesem «dichten Birkenwald» zusammen,...
Die Spätphase des Harold Pinter war ein langsames Verstummen. Seine letzten Dramen waren kaum noch abendfüllend, manche dauerten nur wenige Minuten. Und als er 2005 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, hatte der englische Dramatiker und Drehbuchautor die Produktion bereits ganz eingestellt. Auch «Party Time» (1991) war in der vom Autor selbst...