Kreativität ist kälter als die Gier

Theater heute - Logo

Das Stück in Ihrem Spielplan heißt «Die Gier». Stellen Sie sich vor, obwohl Ihre Darstellungen immer besser wurden, weniger, weit weniger könnten die Zuschauer trotzdem mit einem Titel wie «Die Kreativität» anfangen. Sie wollten einmal ein Stück über die «Gier der Banken» zeigen, weil Sie dachten, das Theater könnte sich noch relevant um gesellschaftliche Probleme kümmern. Und ich bin da ganz Ihrer Meinung. Nur liegen die Probleme nicht auf der Straße ... Es hat sie leider niemand aus dem Fenster geworfen.

Das Problem bei einem Stück über die Gier ist, dass da unten im Zuschauerraum zwar alle gewillt sind, der Geschichte über die «Gier» zu folgen, und daraus Konsequenzen zu ziehen. Nur muss man sagen, dass die meisten im Publikum nicht unbedingt aufgefordert sind, gierig zu sein. Was sie aber unbedingt sein sollen ist: kreativ. Auch der Regisseur selber.

Der konnte bisher die Gier ganz gut kritisieren, und auch hin und wieder bei sich selber genauer hinsehen. Aber wie ist es mit der Kreativität?

Etwas spricht eindeutig gegen das Geschichtenerzählen auf einer Bühne: Die Kreativen im Zuschauerraum vermissen keine universelle Geschichte über Kreativität. Sie wünschen sich auch keine, ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Jahrbuch 2012
Rubrik: Das Theater mit der Kreativität, Seite 8
von René Pollesch

Weitere Beiträge
Raskolnikow im Putinland

Die Kinder der Perestroika sind Moltschanows Protagonisten. Junge Russen, die ein existenzielles Bedürfnis verspüren, ihre Gedanken und Gefühle einer Welt entgegenzuknallen, die täglich roher und zugleich komplexer wird, die ihnen mehr und mehr entgleitet und sie permanent überfordert. Als im März dieses Jahres Putin zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt wurde,...

Schein der Ordnung

Duck ist 16 Jahre alt, hat lange braune Haare bis zur Taille, ein winziges Muttermal am Kinn und trägt eine große dicke Brille. Wenn so ein Mädchen wie sie ihre Brille abnähme und ihr Haar schüttelte, würde sich zeigen, dass sie ganz wunderschön ist, und zwar auf eine Weise, die bis dahin nicht erkennbar war. Leider ist Duck stark kurzsichtig. Ihre Brille nimmt sie...

«Ach, Geschichte. Ah, Leben» – Wie Geschichte erzählen?

Aber die Erinnerung kommt nie von vorne auf einen zu – sie kommt seitlich um die Ecke. Allem, was ich sah und hörte, war ich gewissermaßen ausgeliefert. Anstatt dass ich die Gegend nach ihr abjagte, begann sie mich plötzlich in meiner Seele herumzujagen. Sie jagte mich!» Diese Sätze, ich las sie unlängst in einer Erzählung von Carson McCullers, ließen mich...