«Ich nehme meine Figuren todernst»
Wenn es nicht mehr deprimierender geht, falsche Entscheidungen, Abschiedsschmerz, Tod, das volle verfluchte «Alkestis»-Programm, dann entsteht plötzlich auf der Bühne ein violett glitzernder Energie-Wirbelwind: Anne Rietmeijers Alkestis tanzt und tanzt, in den Lebensminuten, bevor sie für ihren Mann Admetos in den Tod gehen wird.
Was soll sie auch tun, wenn als Begleitmusik zum mythenschweren Heldinnen-Tod plötzlich Vicky Leandros’ «Ich liebe das Leben» aus den Lautsprechern scheppert?
Zwei, drei tastende Tanzschritte, eine kleine Drehung – und dann kein Halten mehr: Sie wirft die Arme und Beine wie ein Teenager auf MDMA, springt, strahlt, läuft im Boogie-Style auf der Stelle, immer in Blickkontakt mit ihren Kindern (Ann Göbel, Dominik Dos-Reis). Sie tanzt ausgelassen für sie und mit ihnen und erfindet pathetische Ausdruckstanz-Moves: «Nein, weine nicht um mich …» bekommt ein komisch theatralisches Kopfschütteln, «… das geht vorüber …» eine ausholende Wegwerfgeste, und das finale «... sicherlich!» fixiert sie in Elvis-Pose mit den Zeigefingern in der Luft. Ihr zuzusehen tut weh und gut und rührt zu Tränen.
Das Lied sei für sie ein Schlüssel gewesen, erzählt Anne Rietmeijer im ...
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Theater heute Juni 2024
Rubrik: Akteure, Seite 32
von Cornelia Fiedler
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