«Es läuft richtig gut!»

Ein Jahr nach dem Lockdown ist das Publikum entgegen aller Befürchtungen zurückgekommen. Eindrücke von Sonja Anders aus Hannover

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Franz Wille Sonja Anders, wir haben vor genau einem Jahr über die damalige Post-Lockdown-Publikumskrise gesprochen. Befürchtet wurde damals, das Publikum habe sich des Theaters entwöhnt; die Debatte darüber lappte noch bis in die aktuelle Spielzeit und führte zu teils fast hysterischen Spekulationen um ihre möglichen Ursachen. Wie sieht es jetzt ein Jahr später aus? 
Sonja Anders Sehr erfreulich.

Die Zahlen haben sich in dieser Spielzeit Stück für Stück berappelt, wir hatten schon im Dezember eine wirklich gute Auslastung – allerdings auch noch einige coronabedingte Vorstellungsausfälle. Und der Januar 2023 ist besser als die Januar-Zahlen 2017 und ’18, vor der Pandemie.

FW Musste das Theater dafür jetzt besondere Anstrengungen unternehmen? 
Anders Wir sind sicher mit einer großen Charmeoffensive in die Stadt hinein gestartet, um zu kommunizieren, dass wir ein ästhetisch sinnliches und inhaltlich anregendes Programm anbieten. Zumindest für Hannover kann ich sagen: Es läuft richtig gut! Das höre ich auch aus anderen Häusern. Ich glaube, der Gestus den Zuschauern gegenüber muss lustvoll sein, er muss auch Humor haben. Das reine Diskurstheater oder ein Theater, das von Angriff oder Aggression lebt, hat es derzeit schwer. Aufgrund einer spürbaren Verjüngung im Publikum sind aktuelle gesellschaftspolitische Themen wichtig, gekoppelt mit einem starken Spiel auf der Bühne. Die Publikumsreaktionen insgesamt haben in ihrer Intensität zugenommen. Wie oft wir jetzt Standing Ovations haben!

FW Vor einem Jahr haben Sie gesagt, diese Krise werde für das Theater nachwirken. Stecken diese Erfahrungen von Ausfall, Abgeschaltetwerden, Endlichkeit aus der Corona-Phase noch in den Knochen?
Anders Ich finde ja. Auch das Misstrauen einer vermeintlichen Stabilität gegenüber ist durch die Abfolge von Krisen gewachsen. Das Gefühl, wir müssen uns jederzeit bereithalten zu reagieren, etwas Unvorhergesehenes kann passieren. Auch die Fragen stehen im Raum, was passiert, wenn die finanziellen Ressourcen weniger werden, wenn Tariferhöhungen nicht übernommen werden. Müssen wir dann weniger produzieren? Im Grunde die alten Fragen, aber mit neuer Dringlichkeit. Die wälzen wir sehr! Wir haben auch einen massiven Fachkräftemangel in den Gewerken. Diese Abteilungen sind sehr gestresst. Aber ich glaube weiterhin an das Repertoiretheater. Gerade in einer Stadt wie Hannover, wo wir ein Stammpublikum haben, ist es wichtig, das Gefühl zu vermitteln, es gibt jede Woche ein abwechslungsreiches Programm.

FW Das sind die Probleme aus Sicht der Theaterleitung. Wie sieht es denn aus der Perspektive der Künstler:innen aus? 
Anders Für die Schauspielenden ist es immer noch Dauerstress. Wir mussten gerade wieder zwei ausverkaufte Premieren nacheinander absagen wegen Corona-Erkrankungen. Aber auf der anderen Seite habe ich noch nie so wenig Diskussionen über kurzfristige Umbesetzung oder schnelles Einspringen erlebt. Sie wollen jeden Abend retten! Also einerseits gibt es eine größere Ängstlichkeit, andererseits einen richtigen Kampfmodus um die Bedeutung von Theater und ein Gruppengefühl.

FW Persönliche Begegnung sei noch wichtiger geworden, hieß es vor einem Jahr. Was ist denn aus dem großen digitalen Aufbruch geworden, den man sich im Lockdown versprochen hat? 
Anders (lacht auf) Gute Frage. Würde sagen: zurück zur Normalität. Wir sind schneller geworden mit digitalen Vermittlungsformaten, wir machen auch bessere Aufzeichnungen, wir haben dazugelernt und gehen mit unseren Skills routinierter und unkomplizierter um. Aber künstlerisch – zumindest in Hannover – hat es uns nicht groß weitergebracht. Eher im Gegenteil, ich glaube nicht, dass Video die Bildsprache im Theater gerade beherrscht.

FW Im Rückblick: Was haben wir bei Corona in den letzten beiden Jahren falsch gemacht? Oder wurde alles richtig gemacht? 
Anders Jedes Theater hat die Zeit ja anders genutzt. Das Blödeste war vielleicht, sich zurückzulehnen und zu warten, bis man es ausgesessen hat. Wir waren hier sehr sorgsam um die Gesundheit aller Beteiligten bemüht, gleichzeitig haben wir weitergearbeitet und versucht, das Mögliche möglich zu machen. Auch die Digitalisierung war eine spannende Forschungsphase; aber man ist am Ende doch froh, wenn’s vorbei ist. Und hoffentlich ist es das!


Theater heute Februar 2023
Rubrik: Foyer, Seite 1
von Franz Wille

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