Besser lügen!
Drei Tage bevor ich gefragt wurde, etwas über meine «Visionen vom zukünftigen Schauspieler» zu erzählen, hat mich ein Performer des Nature Theater of Oklahoma im Berliner Hebbeltheater unrasiert und verschwitzt, wie er war, an meinem Eckplatz in der dritten Reihe aufgesucht, um mich auf den Mund zu küssen. Ich wusste, als er auf mich zusteuerte, ziemlich genau, was mir blüht, weil er gerade dasselbe mit einer älteren Dame aus der ersten Reihe gemacht hatte, und ließ das Ganze auch tapfer über mich ergehen, weil ich mir einfach vorstellte, da küsst dich jetzt eine ganz tolle Frau.
Nun hilft diese Vision von der vielleicht zukünftigen Schauspielerin nicht bei jedem Bart und in jeder Situation, aber sie ist ein guter Einstieg in ein Thema, zu dem ich sonst nie im Leben etwas gesagt hätte. Denn ich finde, dass Theaterkritiker keine Visionen haben sollen. Sie sollen das, was sie zu sehen glauben, so treffend als möglich sprachlich fassen und daraus – so gut sie können – weitere Schlüsse ziehen. Kollegen, die dabei ins Visionäre entgleiten und Dinge sehen, die es (noch) gar nicht gibt, sind mindestens genauso schlimm wie jene, die für immer und ewig zu wissen glauben, was Theater ist ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Es gibt eine Spur in der deutschen Dramatik, die ins Dunkle zieht. Auf ihr kann man den «Schattenwesen» begegnen. Unruhige, schemenhafte Gestalten, gebückt oft oder zusammengekauert, in Angststarre gebannt oder auf der Flucht. Büchners Woyzeck, Hauptmanns Mutter Wolffen oder Bruno Mechelke aus den «Ratten» sind solche Gestalten. Ihre Autoren erzählen von Menschen,...
Pas ça!» Mit einer Handbewegung wischt John Porto alles fort. Malt das Geschehen schwarz. Die sieben Revueengel, seiner Willkür ausgeliefert, nennen ihn ehrfurchtsvoll Papa, weil er sie aus dem Dunkel ans Licht holt und sie mit seiner Auslöschformel wieder dahin verbannt. Zurück ins blinde Geschehen. Im Papa hallt das «Pas ça!» nach, aber Papa ist auch eine...
Dies ist eine wahre Geschichte. 1947 erholt sich Jugoslawien gerade wieder einmal von den Folgen eines fürchterlichen Kriegs. Ganze Landstriche liegen entvölkert. Nicht genug, dass einheimische Partisanen Hitlers Übermacht erbitterten Widerstand geleistet hatten, auch gegeneinander waren die Partisanenheere in den Krieg gezogen. Mit schrecklichen Verlusten. Weitab...