Auf dem Kompost der Zivilisation
Putz blättert in ahornblattgroßen Placken von den Wänden, darunter frisst fröhlich der Schimmel. Den Fußboden verwandeln Staub, Dreck und die verstreuten Bestände einer umfangreichen Bücherwand in unwegsames Gelände. Die Glasscheiben der französischen Fenster und der Galerie im ersten Stock sind herausgebrochen, Kabel baumeln lianengleich von der Decke, von draußen wuchern Efeu, Flechten, Moos in die ehemals gute Stube hinein.
Überhaupt scheint die Natur unaufhaltsam zurückzuerobern, was wohlhabende russische Bürger einst zum Schutz vor ihr errichtet haben: ein großzügiges Sommerhaus aus der vorletzten Jahrhundertwende, prachtvoll und lichtdurchflutet.
Erstaunlicherweise wird die düstere Ruine, die Kristine Jurjane mit Lust am naturalistischen Detail und zugleich pathetischer Wucht in die Berliner Schaubühne gebaut hat, mit der allergrößten Selbstverständlichkeit bewohnt. Auf der abgewetzten 50er-Jahre-Chaiselongue mitten im einstigen Salon räkelt sich eine Frau im Halbschlaf, träumt anscheinend Erfreuliches und stößt deshalb, die Hände zwischen den Beinen, Lustschreie der Verzückung aus. Parallel dazu macht sich ein Mann an den Überresten eines Stromkastens zu schaffen, nicht ...
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Theater heute Februar 2013
Rubrik: Aufführungen, Seite 22
von Eva Behrendt
Wie humorlos. Eine «Machtdemonstration der ganz zynischen Art» sieht die gutbürgerliche «Neue Zürcher Zeitung» in Klaus Wowereits hartnäckigem Festhalten am Berliner Bürgermeisterstuhl, obwohl er doch als Aufsichtsratschef der Berliner Flughafengesellschaft die Verantwortung für milliardenschwere Fehlplanungen trägt. Gar «Schlawinerhaftigkeit, Selbstüberschätzung...
Die postdramatischen Aufführungen von Claudia Bosse und ihrem Theatercombinat Wien sind stets eine Reise wert. Sie finden «site-specific» an Orten statt, die man sonst nie im Leben kennen lernen würde: in leer stehenden Bürogebäuden, in Straßenbahnremisen oder Fabrikhallen.
Für das neue Projekt «designed desires» bat sie in die Kantine des ehemaligen...
Eigentlich ein ganz sympathischer Gedanke: Was die Welt im Innersten zusammenhält ist – nichts. Hinter und zwischen den Menschen, Dingen und Verhältnissen regiert kein verborgener Zusammenhang oder sonstige Bestimmungen höherer oder tieferer Art, sondern der reine Zufall. Und wer doch ein bisschen Großstruktur und Zielrichtung braucht, muss äußerst bescheiden...