Applaus für die Schöpfung
Die Küche ist out of proportion. Kühlschrank gut drei Meter hoch, Herdplatten auf eins siebzig, und wer sich hier auf den Küchenstuhl setzen will, muss klettern oder springen. Doch es ist nicht nur die Übergröße, die Ersan Mondtags Ensemble verzwergt und seine Küchenbühne so unheimlich macht: Da ist, geradeaus über den Einbauschränken, ein schwer vergittertes Fenster hinaus in einen endlosen, videoanimierbaren Flur. Da gleißt, wenn links der begehbare Kühlschrank der Firma Sieg (!) offen steht, ein kalt lockendes Weißlicht auf die Schachbrettfliesen.
Und gegenüber hängt unterm Kruzifix eine schwere Eisentür in der Wand, als loderten dahinter die Krematorien von Auschwitz.
Die Küche ist schon die zweite Ableitung einer Mythenverpflanzung, die zunächst Autor Thomas Köck vorgenommen hat: Seine Version oder vielmehr Destruktion – wie der durchgestrichene Titel «wagner – der ring des nibelungen (a piece like fresh chopped eschenwood)» nahe legt – des deutschen Nibelungen-Mythos spielt nämlich in der Psychiatrie. Dort stehlen Oberarzt Wotan und Klinikmanager Hagen den Ring, um die Riesen Fafner und Fasolt zu bezahlen, während Siegfried eine brutale «Heilung» droht: Ihm sollen die ...
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Theater heute August/September 2021
Rubrik: Aufführungen, Seite 13
von Eva Behrendt
Und es ward Nacht. Siebeneinhalb Stunden lang. So wollte es Sebastian Hartmann. Am Staatsschauspiel Dresden hat er mit «Das Buch der Unruhe» so etwas wie den ultimativen Live-Stream aufgelegt. Lange Inszenierungen sind ja nichts Neues im deutschen Theater selbst in seiner digitalen Variante, man denke nur an das letzte Theatertreffen, wo gleich zwei dieser...
Im Nachhinein erscheint es mir seltsam, ja vielleicht sogar verlogen, dass ich selbst nie mit der Geisterbahn gefahren bin. Sie wurde 1998, dem Jahr meiner Matura, in unserem Hinterhof errichtet, der auf allen Seiten von fünf- bis sechsstöckigen Mietshäusern umstanden wird. Ich weiß noch, wie meine Mutter sich über den Lärm der Baumaschinen beklagte. Wochenlang...
Manche Realitäten sind es wert, so gründlich erklärt zu werden, dass sie niemand mehr versteht. Oma zum Beispiel wusste anfangs noch, wie «Türken» aussehen. «Du meinst die Nomaden aus dem Altai, die sich in den letzten tausend Jahren mit Griechen, Armeniern, Bosniern, Albanern, Kurden, Arabern, Tscherkessen, Tschetschenen, Osseten, Georgiern, Lasen und Tartaren...