Wo ist unsere Strategie?

Nuran David Calis fürchtet die Agonie angesichts wachsenden Drucks von Rechts

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Ärgerlich ist, dass der Rückhalt schwindet. Den künstlerischen Leitungen kann ich keinen Vorwurf machen. Ganz im Gegenteil. Alle Leitungen, mit denen ich an komplizierten antirassistischen Theater-Projekten gearbeitet habe oder jetzt auch arbeite, unterstützen mich. Dennoch tun die Nadelstiche gegen solche Arbeiten weh: Nicht einzeln für sich genommen, aber in der Summe und ihrer steigenden Intensität hinterlassen sie Spuren bei mir. Sie treiben mich in einen Raum zwischen Agonie und Gleichgültigkeit.

Den Druck, den ich mittlerweile verspüre und der immer stärker wird, können die Leitungen mir gegenüber nicht mehr verbergen und fernhalten. Und ja, es hat sich verschärft. Es wird mir nahegelegt, einfacher, zugänglicher zu arbeiten. Zugänglicher für wen?! Nun ist Regie führen im Grunde auch ein Handwerk, also nichts, was ich nicht könnte. Aber … – Und da fängt es an: Es wäre das Ende von allem. Es fing mit Anfragen aus dem rechten politischen Raum an, ob sie nicht Teil eines Panels oder Podiums sein könnten?! Bei meinen NSU-Projekten. Solche Fragen werden in letzter Zeit immer öfter an mich herangetragen. Gerne würden die Vertreter des rechten Spektrums, die mittlerweile in den Kommunen sitzen, demokratisch gewählt, mit den Opfern und Hinterbliebenen aus Mölln, Solingen, Hanau, Halle oder der Keupstraße zusammensitzen und reden. Wie soll das gehen? Frage ich mich. Sie können gerne mit den Opfern und Angehörigen zusammen sitzen, wenn sie ihr Menschenbild komplett einer Revision unterziehen.

Zusammen kämpfen!
Als Künstler werde ich immer mehr in den Strudel politischer Vereinnahmung gezogen. Ärgerlich ist, dass die Politik in die Kunst zu stark eingreift und diesen Schutzraum nicht genügend schützt. Wir spielen mit den Karten, die der politische Gegner uns aushändigt.

Der unserer Agonie lächelnd beiwohnt. Im Moment gehen gerade überall die Türen zu für Projekte, die mit dem Thema NSU oder Hanau zu tun haben. Zu sehr übernehmen Leitungen den Wind, der aus dem politischen rechten Raum strömt.

Und ja: Eine Kunst, die versucht, sich solidarisch mit benachteiligten Gruppen zu zeigen, findet selten einen Draht zum Zuschauer. Es fällt auf der einen Seite schwer, ästhetische Zeichen zu setzen, ohne zu moralisieren – und auf der anderen Seite diese zu erkennen, ohne sich belehrt zu fühlen. Dies führt im Moment noch zu leeren Zuschauerreihen und zu leeren Kassen. Aber diese Form ästhetischer Arbeiten sind Pionierarbeiten. Alle Leitungen und Künstler gehen in ein Land, das bis jetzt keine Straßen, keine Wege hatte. Die «NZZ» hat zum Abgang der Zürcher Leitung getitelt: «Von den Woken im Stich gelassen». Das hat mich sehr getroffen und verärgert. In diesen Zeilen verbirgt sich aber auch eine Wahrheit: Wir brauchen Zeit! Und diese Zeit will man uns Künstlern und Leitungen nicht mehr geben. Die soziale und die ästhetische Frage werden gegeneinander ausgespielt. Weniger politische Einflussnahme, mehr Schutz für künstlerische Räume klingt einfach, aber was sollen künstlerische Leitungen tun? Wenn der politische Wind sich dreht und große Umbaumaßnahmen, Etatkürzungen etc. bevor -stehen? Das Ärgerliche daran ist, dass alle es wissen. Und nicht handeln. In Gleichgültigkeit verfallen. Eigentlich müssten wir zusammen kämpfen.

Als ich Peter Laudenbachs «Volkstheater» las, war ich schockiert und erleichtert zugleich. Da führte der Autor alles zusammen, was mir widerfuhr, und ich fühlte mich nicht mehr allein und einsam. Die Erkenntnis, wie systematisch hier gegen die Kunst und das Theater vorgegangen wird, lässt erkennen, dass es nicht zufällig den einen oder den an -deren trifft, sondern dahinter steht ein Plan. Eine Strategie. Und ja: Ich ärgere mich über uns, darüber, dass wir keine Strategie haben. Keinen Plan.

Ungarn, Polen, Italien
Und wer denkt, wir könnten hier mit der Art und Weise, wie wir Theater spielen und Kunst machen, nicht sterben?! Der braucht gar nicht erst zu schauen, was in Russland oder in der Türkei mit Künstlern und deren Kunst passiert ist. Der muss sich nur in der EU umsehen. Ungarn, Italien, Polen, Österreich oder Frankreich, da geht es schon los. Der Boden für die Kunst wird zerstört. Und die Totengräber sitzen auch schon in unseren Kommunen. Alle de -mokratisch gewählt. Unsere kritischen künstlerischen Stimmen werden weggefegt oder aussortiert. Und die, die nicht gehen wollen und nicht so arbeiten wollen, wie es ein autoritärer Staat von uns verlangt, werden irgendwann vielleicht einsperrt?! Unser Ärger sollte nicht in Resignation umschlagen.

Was könnte ich über die ästhetische Erzählung hinaus noch zum Widerstand beitragen?! Hierin könnte auch die Hoffnung liegen. Das Blatt zu wenden. In den vielen Erfahrungen und Narrativen, die wir Einwanderer in dieses Land mitgebracht haben. Unser Erbe, das wir bereit sind zu teilen in unseren Geschichten, unserer Kunst. Das reiche kulturelle Erbe, das wir hier vorgefunden haben, gemeinsam zu verbinden, auszudehnen, zu erweitern. Die Erfahrungen zu teilen: Vielleicht, dass meine Eltern und Großeltern eingewandert sind aus einem Land, in dem alles gekippt ist, die Kunst, das Theater nicht mehr frei ist … – und deren Kinder und Kindeskinder jetzt hier zu den größten Verteidigern der Werte werden, die andere alteingesessene, demokratisch gewählte Kräfte versuchen auszuhöhlen.

Wir sollten die soziale und die ästhetische Frage nicht gegeneinander ausspielen, sondern sie solidarisch verbinden und zusammendenken.

NURAN DAVID CALIS, geb. 1976 in Bielefeld, studierte an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Der Regisseur und Autor hat zuletzt in Mannheim, Leipzig, Bonn, Weimar und immer wieder am Schauspiel Köln inszeniert.


Theater heute Jahrbuch 2024
Rubrik: Ärgernisse, Seite 96
von Nuran David Calis

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