Wir sind es selbst
Sie sind unter uns. Und es sind viele. Sie sehen aus wie wir. Aber sie haben niemals eine Sinfonie gehört, ein Gedicht auswendig gelernt oder ein Theater besucht. Sie schauen fern und freuen sich, wenn in den Nachmittagstalkshows Leute auftreten, die noch blöder sind als sie. Dann fühlen sie sich überlegen und einen Moment lang herausgehoben aus ihrem Alltag aus Gebrüll, Missachtung und Jagd nach Billigartikeln. Sie zu benennen, ohne politisch unkorrekt zu werden, ist schwierig. Unterschicht? Prekariat? Alles klingt, als wolle man sich über sie erheben.
Will man ja auch, aber es soll eben nicht so klingen. Nennen wir sie doch einfach «Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen».
Meistens erleben wir diese Menschen, die aussehen wie wir, auf der Bühne in idealisierter Form. In den wundervollen Horváth-Stücken oder in Jugendclub-Aufführungen, die kreatives Potenzial in Problemkindern wecken. Da spürt man, dass sie nicht so werden müssen, wenn wir sie ernst nähmen und die Geduld aufbrächten, ihnen Stolz und Anerkennung zu vermitteln, einen aufrechten Gang. Das geschieht immer noch viel zu wenig, die Realität ist eine andere. Der Filmemacher Ettore Scola hat sie mit seinen ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Theater heute Jahrbuch 2010
Rubrik: Die Inszenierung des Jahres, Seite 126
von Stefan Keim
Noch immer sorgt das Bild im Pariser Musée d’Orsay für leichte Irritation, wenn der Blick des von einem zum anderen Bild schreitenden Betrachters plötzlich zwischen zwei geöffnete Schenkel fällt, zwischen denen die Lippen sichtbar, der Spalt der Klitoris erkennbar, der behaarte Schamhügel einer Liegenden sich ihm entgegenwölbt. Eine Nahsicht, naturgetreu...
1. Teil Spurensuche
Früher begann der Tag mit einer Schusswunde. Im Juni 1967 reist Ernst Wendt für «Theater heute» zur Experimenta nach Frankfurt am Main. Hier sein Bericht aus Heft 7/67:
«Der Schuß, der den Studenten Benno Ohnesorg in den Hinterkopf traf, fiel während der ersten Stunde der Experimenta II, das Stockholmer Scala-Theater zeigte im Theater am Turm...
Die Götter sind oben, die Menschen sind unten, und in der Tiefe der Erde, die Toten und die Verdammten, Olympos und Tartaros, Himmel und Hölle: Seit Jahrtausenden existiert diese vertikale Vorstellung der Welt. Ebenso alt wie dieser Mythos ist das Bild der Bestrafung. Der Sturz: Fall der Körper, aus verschiedener Höhe, versteht sich, aus der Macht, aus dem Leben,...