Wir sind es selbst

Karin Beiers grandiose Inszenierung von «Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen» in Köln

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Sie sind unter uns. Und es sind viele. Sie sehen aus wie wir. Aber sie haben niemals eine Sinfonie gehört, ein Gedicht auswendig ge­lernt oder ein Theater besucht. Sie schauen fern und freuen sich, wenn in den Nachmittagstalkshows Leute auftreten, die noch blöder sind als sie. Dann fühlen sie sich überlegen und einen Moment lang herausgehoben aus ihrem Alltag aus Gebrüll, Missachtung und Jagd nach Billigartikeln. Sie zu benennen, ohne politisch unkorrekt zu werden, ist schwierig. Unterschicht? Prekariat? Alles klingt, als wolle man sich über sie erheben.

Will man ja auch, aber es soll eben nicht so klingen. Nennen wir sie doch einfach «Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen».

Meistens erleben wir diese Menschen, die aussehen wie wir, auf der Bühne in idealisierter Form. In den wundervollen Horváth-Stücken oder in Jugendclub-Aufführungen, die kreatives Potenzial in Problemkindern wecken. Da spürt man, dass sie nicht so werden müssen, wenn wir sie ernst nähmen und die Geduld aufbrächten, ihnen Stolz und Anerkennung zu vermitteln, einen aufrechten Gang. Das geschieht immer noch viel zu wenig, die Realität ist eine andere. Der Filmemacher Ettore Scola hat sie mit seinen ...

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Theater heute Jahrbuch 2010
Rubrik: Die Inszenierung des Jahres, Seite 126
von Stefan Keim

Vergriffen
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