Wien: Fräuleins als Ware
Ödön von Horváths traurige White-Trash-Figuren haben Konjunktur. Seine Arbeitslosenballaden sind schließlich ideal, um über die emotionale Kälte unserer neoliberalen Gesellschaft und aktuelle Entsolidarisierungstendenzen, die soziale Ungleichheiten verschärfen, zu erzählen. Die #MeToo-Debatte könnte Horváth weiteren Auftrieb geben: Zur Ware degradiert wurden jene Fräuleins, die sich in seinen Stücken nicht unterkriegen lassen möchten und dann doch unter die Räder kommen, seit jeher.
Im Burgtheater hat sich nun der Reduktionskünstler Michael Thalheimer «Glaube Liebe Hoffnung» vorgenommen, einen «kleinen Totentanz in fünf Bildern», wie ihn der Autor selbst bezeichnete. Einzudampfen gibt es in dem verdichteten Stück ausnahmsweise sogar für Thalheimer nichts. Die Bühne von Olaf Altmann ist leer und stockfinster, aus einem riesigen Trichter, der drohend von der Decke hängt, dringt ein einzelner Lichtstrahl, der auf Elisabeth fällt. Im geblümten Sommerkleidchen steht Andrea Wenzl da, klagt, wie schlecht die Zeiten sind, verspricht jedoch, allem Unglück zu trotzen: «Es soll ja noch schlechter werden. Aber ich lasse den Kopf nicht hängen.» Die Fallhöhe ist klar, Thalheimer sieht seiner ...
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Theater heute November 2018
Rubrik: Chronik, Seite 59
von Karin Cerny
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