Why even pretend?
Die Welt ist entfaltetes Leid.» Diesen Satz, den Michel Houellebecq 1991 in sein poetisches Manifest «Lebendig bleiben» schrieb, hätte Anton Tschechow hundert Jahre früher sicher unterschreiben können. So unterschiedlich sich das Leiden im Russland Ende des vorvorigen Jahrhunderts und im heutigen Frankreich auch entfaltet – Leerlauf und Einsamkeit umhüllen Houellebecqs lieblose Sexsüchtige so traurig und aussichtslos wie Tschechows sexlose Liebessehnsüchtige. Es gibt keinen Trost, ein paar stets unerfüllte Hoffnungen und nicht mal mehr den Selbstbetrug.
Why even pretend, dass es gut sei, dass es Sinn gäbe, Liebe, Fortschritt? Was Tschechow allerdings mit der gelassenen Gleich-Gültigkeit des melancholisch Desillusionierten protokolliert, kotzt Houellebecq in seinen Romanen als kalte Hassrede auf die westliche Welt heraus.
Provinz im Schaufenster
«Why even pretend?» ist eine der Zeilen des Fluxus-Künstlers und Zen-Buddhisten Robert Filliou, die als leuchtende Überschriften und Interpretationshilfen in Endlosschleife über dem kleinen, sehr flachen und tiefschwarzen Kasten dahinziehen, den Muriel Gerstner für Karin Henkels Inszenierung des «Onkel Wanja» in die Münchner Kammerspiele ...
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Theater heute Juni 2013
Rubrik: Aufführungen, Seite 6
von Barbara Burckhardt
Was hat König Ödipus mit der Finanzkrise zu tun? Weil die «Schuld» des Königs, der unwissentlich den Vater erschlagen und die Mutter geheiratet hat, so ähnlich klingt wie «Schulden»? Weil die zahlungsunfähigen amerikanischen Eigenheimbesitzer ihre Kreditverträge ebenso wenig überpeilt haben wie der Thebaner seine Familienverhältnisse? Oder weil sie ihre Häuser...
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Als Interviewpartner ist Lars Eidinger ein Sechser im Lotto. Im Vorfeld seiner von reichlich Presse flankierten «Romeo und Julia»-Inszenierung sagte er lauter goldene Worte: «Mein Beruf ist wie Sex» («Zeit-Online»), «Ich profitiere sehr von diesem Gefühl: Ich kann sie alle haben» (im Berliner Stadtmagazin «Zitty», unnötigerweise gefolgt vom abschwächenden «Ich...