Vom Abschaben der Hornhaut

Frauke Finsterwalders und Christian Krachts Deutschland-Panorama «Finsterworld» schickt die Crème de la Crème deutscher Schau­spielkunst durch sonnendurchflutete Kälte

Zauberhaft beleuchtet rieselt die Hornhaut von den alten Fersen. Fußpfleger Claude beugt sich innig über Frau Sandbergs Fuß, dann sammelt er die zarten Körnchen ein und verschließt sie behutsam in einer Metalldose. Am nächsten Tag wird er Frau Sandberg knusprige Kekse in Herzform ins Altersheim mitbringen. Ihren unvergleichlichen Geschmack verdan­ken sie einem «Geheimnis», das er in sie hineingebacken habe, verrät Claude schalkhaft lächelnd. Frau Sandberg glüht vor Glück.

Die schräge Liebe zwischen Claude, Michael Maertens mit bauschig aufgefönter Haartolle und treuherzigem Dackelblick, und Margit Carstensens bedürftiger und stolzer Einsamkeitskönigin im Altersheim gehört zu den schönsten Episoden in Frauke Finsterwalders schönem, schrecklichem, komischem, zynischem und zärtlichem Debütfilm «Finsterworld», dessen Titel nicht zufällig sehr nah am Namen seiner Regisseurin gebaut ist. So nah wie die Initialen einer ihrer zwölf Episodenfiguren, die Franziska Feldenhoven heißt und Dokumentarfilmerin ist, was Frauke Finsterwalder bis zu diesem Film auch war. Sandra Hüller spielt sie so verpeilt, verbiestert und ungekünstelt, wie nur sie es kann. Irgendwann steht sie im dunklen Wohnzimmer ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Oktober 2013
Rubrik: Magazin: Filmstart am 17.10, Seite 69
von Barbara Burckhardt

Weitere Beiträge
«Wir geben nicht nach»

Torben Ibs Die sachsen-anhaltische Landesregierung will sparen. Die Theater in Halle, Dessau und Lutherstadt Eisleben sollen ab 2014 7 Mio. Euro weniger Landeszuschüsse bekommen. Was bedeutet das für die Bühnen?
Matthias Brenner Die Kürzungen bedeuten den Todesstoß für die Theater, zumindest in der Form, wie wir sie heute kennen. Das sind keine Kürzungen, die man...

Puppen sind auch nur Menschen

Als der lettische Regisseur Alvis Hermanis jüngst ankündigte, sich von den deutschsprachigen Schauspielbühnen für eine Weile zu verabschieden, hatte er gerade eine Inszenierung fertiggestellt, die so etwas wie einen «Rückschritt» innerhalb seiner Arbeit darstellte und gleichzeitig eine Symbiose aus seinen künstlerischen Wurzeln und den gemachten Erfahrungen an den...

Eine Seefahrt, die ist lustig

Klingt schwer nach Anmaßung: Circa 1.000 Seiten lang ist Hermann Melvilles Jahrhundertroman «Moby Dick» auf Deutsch, 150 Minuten Theaterzeit gewährt ihm in Hamburg Antu Romero Nunes. Allein ist er mit dieser Zurechtstutzungs-Chuzpe allerdings nicht. Melvilles sperriges Amal­gam aus Apokalypse und Literaturverweisen, gewundenster Hoch- und Fachsprache neben krudem...