Petersburger Hängung
Der Samowar ist mittlerweile als Requisit ein No-Go in Tschechow-Aufführungen, weil zu sehr Russlandklischee. In Daniel Kunzes «Drei Schwestern» am Theater Lüneburg taucht der Teekocher allerdings noch einmal auf, Militärarzt Tschebutykin (Matthias Herrmann) überreicht ihn als Geburtstagsgeschenk für Irina (Berna Celebi). Das Geschenk kommt nicht gut an, alle sind ein bisschen pikiert, und auch Tschebutykin weiß, dass er kein guter Partygast ist.
Herrmann spielt ihn als traurige Figur, die immer alles falsch macht, weswegen sie sich in holpernden Humor flüchtet, Humor, der im Zweifel auf eigene Kosten geht und eine tiefe Frustration überdecken soll. Womit die Haltung dieser Inszenierung schon ganz gut umschrieben wäre: Wir machen Witze, damit niemand merkt, wie leer unser Leben eigentlich ist.
Kunze hat Tschechow in einen schwarz tapezierten Nichtraum verlegt: Nach hinten verjüngt sich Sophie Leipolds Bühne auf eine Tür hin, die allerdings nicht genutzt wird. Auf- und Abgänge passieren durch Risse in neon-umrahmten Bildern an der Wand, eine (angedeutete) Petersburger Hängung freundlicher Dunkelheit. «Warteraum der Zukunft» nennt Dramaturgin Hilke Bultmann diesen Ort, an dem die ...
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Theater heute 1 2023
Rubrik: Chronik, Seite 60
von Falk Schreiber
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