Mach mal langsam
Der Berg ruft! Wenn das stimmt, dann hat das Theater bisher gut weggehört. Das Bergsteigerdrama hat sich nur im Kino durchgesetzt, und auch da hat das Genre schon bessere Zeiten gesehen. Umso erstaunlicher, dass die österreichische Dramatikerin Teresa Dopler ein Stück vorgelegt hat, das tatsächlich von Bergsteigern in den Alpen handelt. Luis-Trenker-Nostalgiker werden mit «Monte Rosa» allerdings wenig Freude haben.
Die namenlosen Figuren (A, B, C) reden zwar schon deshalb hauptsächlich übers Bergsteigen, weil sie einander sonst wenig zu sagen haben; aber die Berge sind hier nicht wirklich das Thema.
«Monte Rosa», mit dem Dopler erstmals für das «Stücke»-Festival nach Mülheim nominiert wurde, ist kein Bergsteigerdrama. Die Alpen sind nur das Setting für ein Experiment, in dem die Autorin ihre Figuren wie Versuchstiere aufeinander treffen lässt. Ganz genau beobachtet Dopler, wie sozial oder asozial sie sich verhalten. In extrem knappen Dialogen beweist die Autorin feines Gespür für Sprache und einen scharfen Blick für Gesellschaft. Wie empathielos die Menschen in diesem absurden Theater agieren, ist manchmal erschreckend anzusehen. Aber weil sie so gut geschrieben ist, bereitet die dramatische Kletterpartie auch viel Vergnügen.
Was für eine Beziehung zu den Bergen hat die Autorin selbst? Keine besondere, sagt Teresa Dopler. Das Gespräch findet dann auch im Flachland statt, im Wiener «Café Raimund», vis-à-vis vom Volkstheater. «Ich gehe, wie wahrscheinlich die meisten Österreicher, ab und zu gern in den Bergen spazieren. Aber nicht im Hochgebirge.» Die 1990 in Linz geborene Dopler ist in der oberösterreichischen Gemeinde Alkoven aufgewachsen, absolvierte nach der Matura zuerst eine Art soziales Jahr in Lissabon («da hab ich mit Kindern gearbeitet») und ging dann nach Wien, wo sie an der Universität für angewandte Kunst Schreibkunst belegt hat; das Studium hat sie als wichtige, intensive Zeit in Erinnerung: «Viele Konflikte, viel Alkohol, viel Aufregung.» Als Abschlussarbeit an der «Angewandten» schrieb sie ein – unveröffentlichtes – erstes Stück, danach hängte sie ein Masterstudium in Theaterwissenschaft an (Thema der Masterarbeit: Ionesco). Auch der Job, mit dem sie damals ihr Leben finanzierte, hatte mit Theater zu tun: Dopler war sechs Jahre lang persönliche Assistentin des körperlich behinderten Choreografen und Performers Michael Turinsky, half ihm im Alltag, begleitete ihn auf Festivals.
«Ich brauche Begrenzungen»
Doplers Zugang zum Theater war ursprünglich ein literarischer. Daheim in Oberösterreich war sie mit Theater kaum in Berührung gekommen, mit Büchern dafür umso mehr. «Meine Eltern sind Lehrer für Französisch und Englisch, bei uns wurde viel gelesen. Auch Stücke habe ich lange Zeit nur gelesen – Thomas Bernhard, die Absurden, Harold Pinter.» Noch heute hat sie das Gefühl, dass sie sich in der Literatur besser auskennt als im Theater. «Ich gehe schon gern ins Theater, aber daheim fühl ich mich dort nicht wirklich, das ist irgendwie nicht ganz meine Welt.» Warum sie überhaupt für das Theater schreibt? «Ich glaube, dass mir das Reduzierte mehr liegt als das Ausufernde. Ich brauche Begrenzungen und eine Art Regelwerk, an dem ich mich abarbeiten kann. Das bietet das Theater. Und man kann mit Sprache anders arbeiten als in einem Roman. Meine Sprache ist ja nicht kompliziert, aber es ist doch eine Kunstsprache, die man in einem Roman so wahrscheinlich nicht durchhalten würde.»
Ihr Debütstück, «Was wir wollen», hat Teresa Dopler 2015 für den Osnabrücker Theaterpreis eingereicht. Sie kam zwar ins Finale, hat den Preis dann aber nicht gewonnen. «Ich weiß noch, wie ich im Zug zurück nach Wien gefahren bin und am Boden zerstört war. Ich dachte mir: Das gibt’s doch nicht!» Uraufgeführt wurde der Erstling schließlich 2017 am Tiroler Landestheater in Innsbruck. Dass die dortige Dramaturgie das Stück in der von Gustav Ernst herausgegebenen Zeitschrift «kolik» entdeckt hatte, kann Dopler immer noch nicht ganz fassen: «Welches Theater liest schon Literaturzeitschriften?»
«Was wir wollen» handelt von drei Geschwistern – zwei Schwestern, ein Bruder –, die nach Spanien gereist sind, um das Haus ihrer verstorbenen Mutter zu verkaufen, die einst die Familie verlassen hatte, um mit ihrem Yogalehrer durchzubrennen. Im zweiten Stück, «Unsere blauen Augen», uraufgeführt 2018 in Würzburg, geht es um ein Paar, das sich in der österreichischen Provinz den Traum vom Eigenheim (mit Palme im Vorgarten!) erfüllen will. So lang ist das noch gar nicht her, aber Dopler spricht von den ersten beiden Stücken bereits, als wären es Jugendsünden. «Da hatte ich eher das Gefühl, ich erfülle etwas, von dem ich glaube, dass es ein Stück ist.» Erst in den folgenden beiden Stücken, «Das weiße Dorf» und «Monte Rosa», habe sie eine eigene Sprache, eine eigene Dramaturgie gefunden.
Eine wichtige Rolle schreibt sie dabei dem von uniT Graz angebotenen Mentoringprogramm «Forum Text» zu, bei dem jeweils acht Autor:innen zwei Jahre lang begleitet werden. Die Arbeit mit ihrem Mentor, dem Schriftsteller Peter Waterhouse, habe sie stark weitergebracht. «Wie der denkt und was der in den Texten sieht, das ist einzigartig und hat mich oft verblüfft. Forum Text hat mir geholfen, ‹das Eigene› zu finden.» Auch mit den Wettbewerben klappt es inzwischen schon besser. Mit «Das weiße Dorf» gewann Dopler 2019 beim Heidelberger Stückemarkt den Autor:innenpreis; im selben Jahr wurde ihr für «Monte Rosa» das vom Land Niederösterreich vergebene Peter-Turrini-Dramatiker:innenstipendium zugesprochen. Die mit den Preisen verbundenen Uraufführungen konnten pandemiebedingt dann allerdings erst im Vorjahr stattfinden.
«Das weiße Dorf» war zuerst – als Stream – im Wiener Theater Drachengasse (TH 3/21) zu sehen (erst danach folgte die Heidelberger Inszenierung). Schauplatz des Zweipersonenstücks ist ein Amazonas-Kreuzfahrtschiff, auf dem Ruth und Ivan, die vor Jahren einmal ein Liebespaar waren, sich zufällig wieder begegnen. Beide sind Manager und haben das auf Rendite und Erfolg konzentrierte Denken so internalisiert, dass sie auch privat gar nicht mehr anders können. Ihre Gespräche klingen sogar dann noch Smalltalk-seicht, wenn es um intime Gefühle geht; wie Mantras streuen sie immer wieder dieselben affirmativen Floskeln – «Das stimmt», «Das ist ein gutes Zeichen» – ein. Als «Emotions-Zombies» hat der Heidelberger Jurysprecher Andreas Jüttner die Protagonisten aus «Das weiße Dorf» bezeichnet. Der Autorin selbst sind ihre Figuren zwar durchaus sympathisch; es ist ihr aber bewusst, dass man sie auch abstoßend finden kann. «Ich finde ein ambivalentes Verhältnis zu den Figuren interessant.»
Wenn sie ein Stück schreibt, legt Teresa Dopler Schauplatz und Anzahl der Figuren fest, und sie unterwirft sich einem strengen Regelwerk. Im Fall vom «Weißen Dorf» war die Regel: Es gibt keine Monologe, nur den Dialog zwischen den beiden Figuren. Wer aber glaubt, dass Dopler ihre Stücke auf dem Reißbrett durchkonzipiert, täuscht sich. «Würde ich so ein Stück ganz planmäßig angehen, dann wäre das doch nur das, was ich, Teresa Dopler, mir mit meinem Hirnschmalz ausgedacht habe – und ich glaube nicht, dass das irgendwen interessieren würde. Die Leute sind ja nicht blöd! Ich muss das Gefühl haben, dass ich mich beim Schreiben selbst überrasche; nur dann überrascht man wahrscheinlich auch andere.» Dopler vergleicht das Schreiben eines Stücks mit einer Forschungsreise. «Was ist das eigentliche Thema? Wo ist der Konflikt? Wohin gehen die Figuren? Das findet man erst beim Schreiben heraus. Am Ende muss man den Text dann natürlich so überarbeiten, dass es aussieht, als hätte man es immer schon gewusst.»
«Monte Rosa»
Der im «Weißen Dorf» praktizierte Minimalismus ist auch in «Monte Rosa» bestimmend. Es gibt insgesamt zwar drei Personen, weil aber immer nur zwei davon gleichzeitig auf der Bühne sind, ist auch «Monte Rosa» für Dopler eigentlich ein Zweipersonenstück. Die Challenge, der sie sich diesmal stellte, war folgende: Die Figuren haben keine Vorgeschichte, kein Innenleben. «Da habe ich gelernt, eine Figur wirklich von Grund auf zu denken. Am Anfang sind diese Figuren ja nur das, was sie von sich geben, mehr oder weniger leere Hülsen, da gibt es keinen Hinterbau. Ich habe mich bei jedem Satz gefragt: Können die das eigentlich sagen? Können die das denken? Haben die überhaupt Gedanken? Ich glaube, im Lauf des Stücks fangen die Figuren schon ein bisschen zu denken an, die kommen irgendwie langsam zu Bewusstsein.»
Die Uraufführung von «Monte Rosa» fand in der Theaterwerkstatt des Landestheaters Niederösterreich in St. Pölten statt (TH 7/21) und war eine typische Studiobühnenveranstaltung: rechtschaffen, aber auch ein bisschen hilflos. Erst in der deutschen Erstaufführung, die Matthias Rippert jetzt am Schauspiel Hannover (Ballhof Eins) inszeniert hat, kommen die Qualitäten des Stücks so richtig zur Geltung. Auf der Bühne ist, anders als damals in St. Pölten, tatsächlich ein Berggipfel zu sehen – das macht schon mal was her. Und dass Fabian Liszt sein Bühnenbild im Smartphone-Hochformat gestaltet hat, lässt es noch steiler erscheinen. Die Bergsteiger sind nicht nur an den Farben ihrer Funktionskleidung, sondern auch an ihren Dialekten einwandfrei zu unterscheiden. A (Lukas Holzhausen) ist Schweizer und betritt die Szene gleich einmal mit einem Jodler, B (Mathias Max Herrmann) ist Deutscher, und dass C (Nikolai Gemel) aus Wien stammt, ist nun wirklich nicht zu überhören.
Es macht Spaß, den Herren dabei zuzusehen, wie sie sich in ihren Köpfen langsam Gedanken manifestieren, bis irgendwann der Groschen fällt. Und es gibt ja so viel zu entdecken! Einmal findet B zum Beispiel ein Fossil, das er als versteinerte Muschel identifiziert. A findet das ausgesprochen interessant, kann mit «Muschel» aber irgendwie nichts anfangen: «Hast du das Wort erfunden?» Darauf B: «Keine Ahnung, ich habe es angesehen und dachte mir, das ist eine Muschel.» C hat den spektakulärsten Auftritt – er klettert über die Steilwand auf die Bühne – und den breitesten Slang: ein Bergproll, der vom Gipfel pinkelt und alles mit einem meckernden Lachen kommentiert. Völlig ungerührt erzählt C einmal davon, dass sein Kletterpartner gerade eben durch Steinschlag schwer verletzt, möglicherweise sogar getötet wurde; genau weiß er das nicht, weil er keinen Anlass sah, umzukehren und Hilfe zu leisten. «Alles in allem war es trotzdem eine herrliche Klettertour.» Viel herzlicher geht es aber auch sonst nicht zu. Die schrulligen Bergkameraden sind beinharte Einzelkämpfer, Partnerschaften gehen sie ausschließlich als Zweckgemeinschaften ein. Wenn einer mal ein Kompliment macht, klingt es wie ein medizinisches Bulletin («Dein Plattsehnenmuskel ist besonders schön ausgeprägt»); wenn sie sich voreinander entkleiden, ist das kein erotischer Vorgang, sondern eine Qualitätskontrolle, um die Physis des potenziellen Seilschaftspartners zu überprüfen. Angesichts der Narben auf As Körper muss C sich dann prompt übergeben.
An der Inszenierung in Hannover mag Dopler vor allem die Genauigkeit und den feinen Humor, der sich daraus ergibt – «auch an Stellen, bei denen ich gar nicht gedacht hätte, dass das lustig sein könnte». Grundsätzlich geht es ihr im Theater oft zu schnell und zu laut zu. «Ich habe das Gefühl, dass viele Theaterleute Langsamkeit und Stille nicht aushalten. Sie haben Angst, dass es langweilig wird und setzen auf Effekte, die es erst recht langweilig machen. Ich mag keine Raserei im Theater, und ich mag’s nicht laut. Oder sagen wir so: Wirklich gute Schauspieler dürfen laut sein; wenn die schreien, ist das herrlich. Aber wenn ein Schauspieler nicht wirklich gut ist, soll er bitte nicht schreien – weil das ist unerträglich.»
Eins nach dem anderen ...
Manchmal ertappt sich Teresa Dopler bei dem Gedanken, einmal ein konventionelleres Stück schreiben zu wollen, so was wie eine Yasmina-Reza-Komödie. «Vielleicht kann ich das gar nicht, aber meine eigenartigen Figuren gehen mir jetzt schon langsam ein bissl auf die Nerven. Ich hätte gern einmal echte Menschen in einem Stück, einen Anwalt und eine Zahnärztin oder so – ohne, dass es platt wird. Wobei ich hoffe, dass ich eh nichts Plattes schreiben kann.» Das nächste Stück ist beinahe fertig, heißt «Magic Moments» und kommt noch «aus einem ähnlichen Universum» wie die letzten beiden. Zur großen Enttäuschung der Autorin ist es wieder ein Zweipersonenstück geworden. «Dabei hatte ich mir geschworen, nie wieder ein Zweipersonenstück zu schreiben, weil das einfach auch echt anstrengend sein kann. Man muss alles aus diesen zwei Figuren rausquetschen, die müssen ja auch die ganze Zeit über irgendwas reden.» Um es sich leichter zu machen, wollte sie eigentlich drei oder vier Personen auftreten lassen. «Aber die zwei anderen sind dann nie aufgetaucht.» Hat sie noch Hoffnung? «Ich glaube, da kommt niemand mehr.» Dann ist erst im übernächsten Stück mit einer dritten Figur zu rechnen? «Ja, genau. Eines nach dem anderen!»
Theater heute März 2022
Rubrik: Akteure, Seite 26
von Wolfgang Kralicek
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