Luft nach oben

Die Themis Vertrauensstelle hat wachsenden Zulauf. Doch ab September ist die Basisfinanzierung unklar. Ein Gespräch mit Geschäftsführerin Maren Lansink

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TH Die Themis-Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Kultur-, Medienund Musikbranche e.V., wie es mit vollem Namen heißt, gibt es seit dem Oktober 2018, und sie ist eine schöne – beziehungsweise eher unschöne – Erfolgsgeschichte. Die Zahl der auf Wunsch anonymen Beratungsgespräche in entweder psychologischer und/oder juristischer Hinsicht hat sich im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt, nämlich von 434 auf 848 Beratungen, darunter 132 Erstberatungen, also neue Fälle.

Woran liegt das, Frau Lansink? Sie sind die Geschäftsführerin und eine der juristischen Themis-Beraterinnen. Haben sexuelle Belästigungen und Gewalt zugenommen? 
Maren Lansink So genau kann ich das gar nicht sagen. Wir vermuten, dass es nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass die Themis-Vertrauensstelle bekannter geworden ist im Lauf der Jahre. Wir sind 2018 aus dem Nichts gestartet, und bis eine Vertrauensstelle Vertrauen aufgebaut und sich Vertrauen verdient hat, dauert es logischerweise. Inzwischen wissen mehr Menschen, dass es diese Stelle gibt, und die Bereitschaft, über sexuelle Belästigung zu sprechen, ist aus unserer Sicht gewachsen. Mittlerweile erleben wir auch durch mediale Berichterstattung, durch Fälle, die in der Presse größer verhandelt werden, stärkere Aufmerksamkeit. Beispiele wären der Fall von Till Schweiger oder Till Lindemann. Beides übrigens keine Themis-Fälle, denn im ersten Fall ging es um körperliche, nicht sexualisierte Gewalt und im zweiten um die Fans und nicht die Beschäftigten am Arbeitsplatz. 

TH Stichwort Till Lindemann: Die Musikbranche ist erst 2022 dazugekommen, sie war zu Beginn gar nicht einbezogen. 
Lansink Richtig, auch hier erstreckt sich unsere Zuständigkeit nur auf die Beschäftigten in der Musikbranche. Fans und Konzertbesucher: -innen können Unterstützung bei anderen auf sexuelle Gewalt spezialisierten Fachberatungsstellen finden. 

TH Wer sind denn die hauptsächlich Beschuldigten und wer die Beschuldiger:innen?
Lansink Mutmaßlich Beschuldigte sind hauptsächlich männlich gelesene Personen, die von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz Betroffenen sind hauptsächlich weiblich. In Zahlen: 127 männliche Beschuldigte bezogen auf die Erstberatungen der neuen Fälle, weibliche Betroffe -ne 115. Das ergibt schon ein sehr klares Bild. 

TH Als wir im Februar 2021 mit Themis-Vorständin Eva Hubert gesprochen haben, war die weitere Finanzierung der Stelle noch unsicher. Nach einer Anschubfinanzierung durch das Bundeskulturministerium sollten die Arbeitgeberverbände ihren Anteil von 60 Prozent auf 100 Prozent steigern. Ist das geschehen? 
Lansink Nein, das ist nicht komplett geschehen. Wir bekommen immer noch eine Finanzierung der Staatsministerin für Kultur, nicht mehr von 100.000 Euro, sondern von 90.000 Euro jährlich. Diese Finanzierung läuft noch bis Ende September 2024. Ob es dann weitergeht mit dieser Basisfinanzierung, wissen wir im Augenblick nicht. Die öffentlichen Kassen sind bekanntlich leer. 

TH Welche Arbeitgeberverbände sind denn im Augenblick beteiligt? 
Lansink Der Deutsche Bühnenverein, die Produktionsallianz und der Produzent:innenverband, die Sendeanstalten ARD und ZDF, auch die privaten Sender über ihre Vereinigung Vaunet, der Bund deutscher Konzertveranstalter: -innen, der Bundesverband Musikindustrie und der VUT. Aber weil die Finanzierung durch die Arbeitgeber:innen-Verbände nicht ausreicht, beteiligen sich auch die Arbeitnehmer:innen-Verbände, zwar nicht in signifikanter Höhe, aber sie sind ja auch viel kleiner. Wir sind aber trotzdem sehr froh darüber, da es zeigt, wie wichtig den Arbeitnehmer:innenverbänden unsere Arbeit ist! 

TH Aber wenn man hört, dass auch ARD und ZDF beteiligt sind und dass plötzlich 90.000 Euro ein Problem sein sollen, fragt man sich schon, warum. 
Lansink Wir laufen da auch ein bisschen gegen Wände. Das Geld ist überall knapp, man sieht zwar unseren Bedarf, aber es passiert nichts. Dafür haben wir Streamer gewinnen können wie Amazon und Netflix, quasi als Großspender. Sie schicken mittlerweile sehr beträchtliche Beträge an Themis, zusammen über 100.000 Euro – und das, ohne Mitglied zu sein, d.h. ohne Mitspracherecht. Ohne die Streamer müssten wir eine Stelle abbauen. 

TH Wie hat sich denn darüber hinaus die Professionalisierung von Themis entwickelt? Es müssen im Schnitt pro Monat 74 Beratungsgespräche geführt werden. Dafür braucht man eine Anzahl sehr qualifizierter Mitarbeiter:innen. 
Lansink Wir haben derzeit 4,5 Vollzeitstellen, in denen auch die Stelle der Teamassistenz enthalten ist, die nicht in der Beratung tätig ist. Meine Stelle als Geschäftsführerin ist geteilt, ich mache auch noch Beratung. Der Rest verteilt sich auf die Berater:innen. Wir sind insgesamt sieben Personen, die alle in Teilzeit beschäftigt sind und sich Stellen teilen von 12 Stunden bis 32 Stunden wöchentlich. 

TH Sie beraten nicht nur von sexualisierter Gewalt Betroffene, sie bieten auch Präventionsberatung für Arbeitgeber:innen an. Wie entwickelt sich dieser Zweig? 
Lansink Der Bereich entwickelt sich super. Wir hatten im letzten Jahr 34 In-House-Veranstaltungen bei Arbeitgeber:innen. Das leisten wir übrigens auch mit den genannten 4,5 Stellen. Für dieses Jahr und das erste Quartal 2025 sind wir schon verplant! Wir erleben ein großes Bedürfnis auf Arbeitgeber:innenseite, sich entsprechend aufzustellen.

Das Gespräch führten Eva Behrendt und Franz Wille.


Theater heute August/September 2024
Rubrik: Foyer, Seite 1
von Eva Behrendt und Franz Wille

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