Kunst als Ausrede für alles
Es existieren ganze Bibliotheken mit schönen, klugen Sätzen darüber, was die darstellenden, performativen Künste uns sein könn(t)en, und es gibt weitere mit Analysen dazu, wie es unter den Bedingungen kapitalistischer Aneignung aller Werte zur Ware in der Regel bei den schönen, klugen Sätzen bleibt und auch diese Künste eben doch Zwecken dienen, für die die Künstler:innen nie angetreten waren.
Interessant ist aber, in welchen Momenten – ungeachtet all der (konservativen) Fallstricke rund um die Idee, sich explizit für Kunst als ein eigenständiges Phänomen zu interessieren – die Forderung nach ‹Theater mit Kunstanspruch› besonders dringlich zu werden scheint und wogegen sich die so Fordernden zu wehren versuchen. Mit Blick auf das «Responsibility»-Programm des zurückliegenden Berliner Theatertreffens und die teils empörten Reaktionen der professionellen Kritiker:innen erscheint «Kunst» durchaus als Kampfbegriff: Als «mehr oder weniger martialische, relativ kunstferne Gesinnungsdemonstrationen» bezeichnete etwa Peter Laudenbach das «verantwortungsvoll» gedachte neue Rahmenprogramm mit Arbeiten zum Krieg in der Ukraine, Kollegin Barbara Behrendt befand, es sei «oft von einem ...
Anna Volkland studierte Dramaturgie und Tanzwissenschaft und arbeitet(e) als Dramaturgin für Tanz und Theater, schreibt für Fachmagazine und unterrichtet u.a. erweiterte Aufführungsanalyse und Theatergeschichte. 2014 bis 2020 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Künste Berlin, wo sie zu Demokratisierungsversuchen und Institutionskritik im Stadttheater der früheren BRD und DDR zu forschen begann.
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Theater heute Juli 2023
Rubrik: Magazin, Seite 71
von Anna Volkland
Wir sind die Krankheit», röchelt die sterbende Priesterin gleich in der ersten Szene, nachdem sie vor Ödipus endgültig zusammengebrochen ist – und hat damit schon fast das ganze Stück verraten. Nur dass man/frau es zu diesem frühen Zeitpunkt natürlich noch nicht verstanden hat.
Sophokles’ «Ödipus» hat zu Pandemiezeiten ungewöhnliche Spielplan-Konjunktur erlebt....
Als machtlose Seherin, eine dunkle Mischung aus Melania Trump, Kassandra und Elfriede Jelinek, schritt sie 2017 barfuß und in wehenden Gewändern durch dekadente gol -dene Fransen in Philipp Preuss’ Inszenierung von «König Ubu/Am Königsweg». Ungehört fabulierend, mal fast unscheinbar durchsichtig, mal wütend bellend, mal tänzerisch-ätherisch. Als zerzauste Clownin...
Das kleine rote Büchlein, das der ehemalige Palastkoch Hans-Jürgen Schreiber gegen Ende der Performance im Publikum verteilt, ist so ziemlich das Gegenteil einer Mao-Bibel. Zusammengesetzt aus Schlüsselwörtern und Fragmenten, beschreibt es unter anderem den Blick von Ost und West aufeinander: «Sowohl die Chinoiserie als auch ihr Gegenstück, die Européenerie,...
