Hamburger Gelingensbedingungen
Schon im Juni 2024 stromerte die Hoffnung durch die Hansestadt. Der rot-grüne Senat sehe für die Kulturbehörde im neuen Doppelhaushalt ein Plus von etwa 11 Prozent im nächsten Jahr vor, hatte es aus dem Rathaus geheißen. Von «sensationell guten Nachrichten» sprach Hamburgs Kultursenator Dr. Carsten Brosda (SPD) damals. Doch lange blieb diese Meldung das verheißungsvolle Funkeln in den Augen eines Matrosen. Im Dezember 2024 wurde sie offiziell: Da beschloss die Hamburgische Bürgerschaft den Doppelhaushalt mit Ausgaben von knapp 44 Milliarden Euro für 2025 und 2026 zusammen.
Und damit auch den Haushalt der Behörde für Kultur und Medien, der 2025 zwar lediglich 2,15 Prozent und 2026 nur rund 2,12 Prozent des Gesamthaushalts ausmacht. Doch dank des Rekordhaushalts steigt der Kulturhaushalt 2025 um rund 50 Millionen Euro auf 461 Millionen Euro und 2026 um weitere 13 Millionen Euro auf 474 Millionen Euro.
Erhöhung statt Streichung, ein Trend aus Hamburg? «Kürzungen im Kulturbereich», so Brosda, «sind für eine Stadtgesellschaft nicht klug. Kunst ist etwas Essenzielles für unser gesellschaftliches Miteinander, und ich würde es auch in dieser Grundsätzlichkeit begreifen.»
Immenser Einnahmedruck
Für das Schauspielhaus inklusive Jungem Schauspielhaus gibt es 2025 also 35,358 Millionen Euro, für das Thalia Theater 30,410 Millionen Euro, für Kampnagel ab sofort 9,270 Millionen Euro. Auch die Freie Szene bekommt deutlich mehr. Zwei Beispiele: Zusätzliche 300.000 Euro fließen in eine neue, mehrjährige Förderlinie für Senior Artists. Und von 100.000 Euro auf 300.000 Euro steigt die Wiederaufnahme- und Gastspielförderung, ein vom Dachverband der Freien Darstellenden Künste organisierter Fonds.
Matthias Schulze-Kraft, künstlerischer Leiter des Lichthof Theaters, klingt zufrieden: «Die gesamte Kulturszene Hamburgs profitiert von einer vorausschauenden Politik, die den Wert der Kultur für eine vielfältige und lebendige Gesellschaftsordnung erkannt hat und diese entsprechend fördert.» Karin Beier, Intendantin des Schauspielhauses, spricht von einer «glücklichen, keineswegs selbstverständlichen Situa -tion» und davon, «dass viele Menschen, auch viele Menschen in entscheidender Position – allen voran der Kultursenator – ein feines Gespür für die Bedeutung der Darstellenden Kunst in unserer Stadtgesellschaft haben». Und Amelie Deuflhard, Kampnagel-Intendantin, lobt den hiesigen, auf Kulturveranstaltungen enorm präsenten Kultursenator als einen «umsichtigen Kenner und Förderer der Kunst, aber auch der Freien Szene.»
Ja, Hamburg sei im Verhältnis zu Berlin «die ordnungspolitische Insel der Seligen», so Joachim Lux. «Kürzungen von zehn Prozent oder mehr hat es hier ad hoc noch nie gegeben. Es weiß wirklich jeder, dass das zerstörerisch wäre.» Zugleich verweist der Intendant des Thalia Theaters auf entscheidende strukturelle Unterschiede zu anderen Städten: «Die Hambur -gischen Kulturstaatsbetriebe sind – anders als in Berlin – GmbHs. Verluste werden am Jahresende nicht von der Stadt ausgeglichen und müssen später selbst erwirtschaftet und ausgeglichen werden. Im Gegenzug können Gewinne, also freie Rücklagen, akute defizitäre Situationen bereinigen.» Dieser Eigenbeitrag entlaste das städtische Budget.
Dennoch: «Auch wir können die derzeit horrende explodierenden Kosten, die durch Infla -tion und Tariferhöhungen entstehen, nicht vollständig selbst tragen und wären früher oder später insolvent. Und sind auf städtische Hilfe angewiesen. Die Stadt Hamburg hilft uns an dieser Stelle nach einem hochdifferenzierten Verfahren und lässt uns nicht im Regen stehen.» Aber der Einnahmedruck sei immens: «Wenn es demTha -lia nicht gelingt, bei über 300 Vorstellungen im Großen Haus durchschnittlich (!) um die 700 Zuschauer zu interessieren, haben wir ein ernsthaftes Problem. Das ist politisch gewollt.» Aus dem Kulturetat erhält das Thalia Theater stets weniger jährliche Förderung als das Deutsche Schauspielhaus. Eine Handhabe, die bis zu Jürgen Flimms Thalia-Intendanz (1985–2000) zurückreicht. Diese sei mittlerweile so tief in die DNA der Häuser eingesickert, so Brosda, «dass im jeweiligen Theater auf eine bestimmte Art ein Programm gemacht wird, das ein ganz eigenes Publikum erreicht, zum Beispiel auch mit dem Jungen Schauspielhaus. Beide Häuser machen das gerade herausragend gut.» Und ergänzt: «Dafür zu sorgen, dass man das Publikum gut erreicht, macht die Kunst auch besser.»
Rekordhaushalt im Rücken
Dafür zu sorgen, dass Geld da ist, kann Kunst überhaupt erst möglich machen. «Wenn in ande -ren Städten im Gesamthaushalt Geld fehlt, fehlt Geld, und alle müssen sparen. Ich glaube, das ist unstrittig», konstatiert Brosda. «Insofern ist die aktuelle Situation in Hamburg nicht das Ergebnis des einen Kultursenators, der durch die Gegend rennt und alle schwindlig quatscht, sondern auch das einer guten Haushaltslage hier.» Und ein bisschen doch. Denn dieser Senator weiß, wofür er sich engagiert. Mit einem Rekordhaushalt im Rücken ist das natürlich einfacher.
Auf die Frage, wie dieser Haushalt zustande kommt, nennt Brosda drei Gründe. Erstens die vergleichsweise bessere wirtschaftliche Entwicklung Hamburgs, zweitens die Umstellung des Haushaltwesens auf die Doppik-Bilanzierung. Mit dieser geht das sogenannte Steuertrend-Verfahren einher, in dem ein gemittelter Wert aus den Steuereinnahmen und der aktuellen Steuerschätzung das Ausgabevolumen des Gesamthaushalts bestimmt. «Das führt auch dazu, dass wir in früheren Jahren, als wir mehr eingenommen haben als wir ausgeben durften, eine rechnerische Reserve für schlechte Zeiten gebildet haben.» Als dritten Punkt schildert er die glückliche Situation, dass er einen Senat habe, mit dem er darüber sprechen könne, dass Kunstförderung «nicht als nice to have hinten drankommt.» Und wird grundsätzlich: «Ich verstehe es als eine öffentliche Aufgabe, ein kulturelles und künstlerisches Angebot in einer Stadt aufrecht zu erhalten. Und dass das nicht nur etwas ist, von dem ich sage, das sollen die bezahlen, die es nutzen. Das sind die wesentlichen Gelingensbedingungen für Kulturpolitik und eine offene Gesellschaft.»
Vorteil Bürgerengagement
Und schließlich der Standort: Hamburg ist eine Bürger:innenstadt, Kaufleute und Pfeffersäcke inklusive. Noch nie kam diese Stadt in den Genuss einer höfischen oder fürstlichen Kulturförderung. Dass hier 1678 das allererste Opernhaus für das Volk errichtet wurde, ist ihren engagierten Bürger:innen zu verdanken, auch das Schauspielhaus entstand durch eine Bürger:innen-Initiative und der 1899 gegründeten «Aktiengesellschaft Deutsches Schauspielhaus». «Wir haben eine ganze Menge an zivilgesellschaftlichem Mäzenatentum, was uns haushälterisch manchmal auch etwas entlasten kann», merkt Brosda an.
Übrigens ist Hamburg – in Relation zur Zahl der Steuerzahler:innen – nicht nur die Stadt mit der höchsten Millionärsdichte, sondern auch die mit den meisten Stiftungen in Deutschland: 1500. Brosda spricht von einem «tief verankerten, bürgergesellschaftlichen Bewusstsein für Kultur» und vom Glück, dass die Geschichte mit der Elbphilharmonie gut ausgegangen sei. Zur Erinnerung: Allein die Baukosten waren mit rund 866 Millionen Euro mehr als elfmal so hoch wie ursprünglich geplant. Doch: «In dem Moment, in dem die Elbphilharmonie eröffnet wurde, haben sich in der Stadt alle schockverliebt in das Haus. Und das zeigt ja immer noch nachvollziehbar, was für eine Kraft so eine Investition in Kultur haben kann.»
Tatsächlich steht in Hamburg mit der «Elphi» seit 2016 nicht nur eines der bedeutendsten Konzerthäuser der Welt, sondern auch ein funkelndes Wahrzeichen der Stadt. Und ein Haus, das ein breites Publikum erreicht – erst jüngst bespielten internationale DJ-Sets hier einen Pop-Up-Club. Für die Hamburger Kultur wählt Brosda, der regelmäßig Songzitate postet, mit «Bleibt alles anders» eines von Herbert Grönemeyer, denn: «Kultur changiert zwischen zwei Polen: Sie birgt ein Kontinuitätsversprechen in sich, das sich aber innerhalb dieser Kontinuität permanent verändert.» Allzu viel Veränderung wünschen sich die Hamburger:innen allerdings derzeit nicht. Vielmehr stromert wieder die Hoffnung durch die zugigen Straßen, die Hoffnung darauf, dass Brosda auch nach den Bundestagswahlen in der Hansestadt bleibt.

Theater heute März 2025
Rubrik: Magazin, Seite 67
von Katrin Ullmann
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